Bei Toni Kroos flossen die Tränen. Als der Mittelfeldstar ein letztes Mal den Rasen des Estadio Santiago Bernabéu verließ und seine drei Kinder an der Seitenlinie schon auf ihn warteten, konnte er seine Emotionen nicht mehr verbergen. „Ich war stark, bis ich meine Kinder sah. Dieser Moment hat mich umgebracht“, berichtete Kroos von seinem ergreifenden Abschied beim spanischen Fußball-Meister. „In diesen zehn Jahren habe ich mich immer zu Hause gefühlt. Es war eine unvergessliche Zeit.“
Selten ist ein Spieler bei den Königlichen derart verabschiedet worden wie Kroos. „Gracias Leyenda“ (Danke, Legende) war auf einem riesigen Plakat zu lesen, seine Mitspieler um Luka Modric und Co. warfen den 34-Jährigen nach dem 0:0 gegen Betis Sevilla in die Höhe und von den steilen Rängen schallte es immer wieder „Toni, Toni“. Kroos, der nach der EM im Sommer seine Profikarriere beendet, wollte eigentlich einen diskreten Abschied. Das ist gründlich daneben gegangen.
Dabei ist seine Zeit bei Real noch nicht ganz vorbei, eine große Aufgabe wartet noch. „Der beste Weg wäre, den 15. zu gewinnen“, so Kroos. Der 15. Champions-League-Triumph soll es sein, am nächsten Samstag im Königsklassen-Finale gegen Borussia Dortmund im Londoner Wembleystadion. Für Kroos wäre es der fünfte im Trikot der Madrilenen und der sechste seiner Karriere. Insgesamt hat der Weltmeister von 2014 schier unglaubliche 22 Titel mit Real geholt.
„Er ist ein Spieler, der etwas Außergewöhnliches für diesen Verein geleistet hat. Es ist der Abschied, den er verdient. Er ist einer der Größten“, schwärmte Erfolgstrainer Carlo Ancelotti. „Er hatte immer ein kleines Ego und hat für das Team gespielt. Wir können uns glücklich schätzen, ihn zehn Jahre hier gehabt zu haben.“ Für Ancelotti war Kroos der verlängerte Arm auf dem Rasen, zusammen mit Spielmacher Modric hatte der gebürtige Greifswalder im Real-Mittelfeld eine Ära geprägt.
Und auf Kroos, der im Sommer 2014 für schätzungsweise 30 Millionen Euro in die spanische Hauptstadt kam, war immer Verlass. 464 Spiele bestritt er für die Königlichen, erzielte 28 Tore und bereitete 98 Treffer vor. In jede seiner zehn Spielzeiten kam er auf eine Passgenauigkeit von mindestens 92 Prozent. Wenn es brenzlig wurde, strahlte Kroos Ruhe und Souveränität aus. „Einen Spieler wie Kroos mit seinen Qualitäten gibt es auf dem Markt nicht, aber wir müssen ihn anders ersetzen“, sagte Ancelotti.
Kroos hätte bei Real einen neuen Ein-Jahres-Vertrag unterschreiben können, er lehnte jedoch ab. „Ich wollte immer auf dem Höhepunkt meines Schaffens gehen. Ich wollte nie, dass die Leute mir sagen müssen, jetzt reicht's“, begründete er jüngst in seinem Podcast „Einfach mal Luppen“ die Entscheidung.
Erreicht hat er eh fast alles. Ein Titel fehlt ihm allerdings noch. Die EM-Trophäe im Sommer könnte seine Erfolgskarriere abrunden. Im Team von Julian Nagelsmann ist Kroos nach seinem Comeback im März der Fixpunkt. Der Bundestrainer ist jedenfalls von dessen Fitness beeindruckt: „Wenn man Toni Kroos umarmt, trotzdem, dass er nicht mehr 20 ist, der ist wie Stahl! Unfassbarer Körper, nach wie vor!“
Spätestens am 14. Juli, dem Tag des EM-Endspiels, ist endgültig Schluss. Danach freut sich Kroos auf „mehr Selbstbestimmtheit“. Verschiedene Projekte wie seinen Podcast, seine Stiftung oder seine Fußball-Akademie hat er bereits neben der Karriere vorangetrieben. Und sein Töchterchen will ihn endlich mal auf einem Pferd sehen. Langweilig wird es also nicht.
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