Nach dem Ringen der SPD um ihren Kanzlerkandidaten hat Grünen-Chef Felix Banaszak den Sozialdemokraten „Zerrissenheit“ attestiert und demgegenüber die Geschlossenheit seiner eigenen Partei betont. „Die Partei hat offenbar weiterhin Klärungsbedarf über ihre Ausrichtung“, sagte er der „Rheinischen Post“ (Samstag) über die SPD. „Bei dieser Bundestagswahl geht es auch darum, zu entscheiden, wer dieses Land mit Rückhalt und Verlässlichkeit in die Zukunft führt.“ Die Grünen hätten Tausende neue Mitglieder und ihren Kanzlerkandidaten Robert Habeck mit über 96 Prozent auf dem Parteitag gewählt. „Wir sind bereit für diese Verantwortung“, sagte er.
Die SPD-Führung stellt sich heute auf dem Juso-Bundeskongress der scharfen Kritik des Jugendverbands am Umgang mit der Kanzlerkandidatur. Der Juso-Vorsitzende Philipp Türmer hatte am Freitag zum Auftakt der Konferenz den Parteivorsitzenden Saskia Esken und Lars Klingbeil die Führungsfähigkeit abgesprochen. Esken redet nun am Nachmittag auf dem Kongress. Außerdem werden Generalsekretär Matthias Miersch und der stellvertretende Parteivorsitzende und Arbeitsminister Hubertus Heil in Halle an der Saale erwartet.
Die Parteiführung hatte nach dem Koalitionsbruch und der Neuwahl-Entscheidung darauf verzichtet, Regierungschef Olaf Scholz sofort als Kanzlerkandidaten zu nominieren. Dadurch war in den vergangenen zwei Wochen eine Debatte über eine Einwechslung des weitaus beliebteren Verteidigungsministers Boris Pistorius entstanden. Sie wurde erst am Donnerstag durch Pistorius' Verzicht auf die Kandidatur beendet. Am Montag will der Vorstand nun Scholz als Kanzlerkandidaten für die auf Februar vorgezogene Bundestagswahl nominieren.
Unterstützer von Scholz wie bisherige Zweifler bemühen sich seit der Klärung um Geschlossenheit und Aufbruchstimmung.
Der Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises der SPD-Bundestagsfraktion, Dirk Wiese, der die Debatte über Scholz mit angeheizt hatte, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland nun: „Bei allen persönlichen Präferenzen eint uns in der SPD der Schulterschluss gegen die Union und Friedrich Merz.“ Er fügte hinzu: „Der Wahlkampf wird aber kein Selbstläufer werden, auch 2021 lässt sich nicht einfach 1 zu 1 kopieren.“ Das kann als Anspielung auf Scholz verstanden werden, der immer wieder auf seinen Wahlerfolg von 2021 verweist, den er aus einem ähnlich großen Umfragerückstand wie jetzt errungen hatte.
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) zeigte sich überzeugt, dass es für die SPD bei der Wahl gut ausgehen kann. „Ja. Wir haben jetzt Klarheit und schon das bringt uns weiter“, sagte er der „Süddeutschen Zeitung“.
Für den früheren SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel droht der SPD aber „ein ähnliches Bild wie bei der Union 2021“, die nach langem Machtkampf mit ihrem Kandidaten Armin Laschet (CDU) verloren hatte. Dem Kanzler bescheinigte er in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, sicherheitspolitisch zu lavieren: „Ebenso wie (Unionskanzlerkandidat) Friedrich Merz meidet er die Klarheit, mit der man die Deutschen in dieser neuen globalen Unsicherheit führen muss.“ Die Angst, Wähler zu verschrecken, sei größer als „das Vertrauen darauf, dass man den Menschen die neuen und gefährlichen Realitäten in Europa zumuten kann“.
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