Gianni Infantino drängelte sich vor. „Ich darf ihn anfassen, ich bin schließlich der Präsident“, sagte der FIFA-Chef beim Abschlusskongress des Weltverbands in Sydney lachend mit der goldenen WM-Trophäe in der Hand.
„Diesen unglaublichen Pokal, den ein neues Team gewinnen wird“. Spanien oder England - nach dem großen Finale der WM an diesem Sonntag (12.00 Uhr/ZDF) wird in jedem Fall ein Nationalteam erstmals den größten aller Titel im Frauenfußball feiern.
„Jeder Schritt war sehr, sehr schwer“, sagte Englands Nationaltrainerin Sarina Wiegman, die im Endspiel wieder auf ihre zuletzt gesperrte Topstürmerin Lauren James zurückgreifen kann. Der Frauenfußball sei so sehr gewachsen, „dass es wirklich schwer ist, da durchzukommen. Ich weiß also, dass es etwas ganz Besonderes ist, und so fühlt es sich auch an.“
Die 53-Jährige hatte es als Erste geschafft, zwei Nationen in ein WM-Finale zu führen - vor vier Jahren unterlag die Niederländerin mit ihrem Heimatland im Finale gegen die USA. Vor einem Jahr gewann Wiegmann mit England den umjubelten Heim-EM-Titel in Endspiel gegen Deutschland.
Der Erfolg mit der Niederländerin führte in den vergangenen Tagen in Großbritannien schon zu fast revolutionären Gedankenspielen. Schließlich können die Fußballerinnen das englische „It’s Coming Home“-Trauma nach 57 Jahren ohne WM-Titel beenden. „Warum muss es ein Mann sein?“, antwortete Verbandsdirektor Mark Bullingham auf die Frage, ob Wiegman auf Männer-Nationaltrainer Gareth Southgate folgen könnte. Es gehe nicht um Mann oder Frau, sondern um die beste Person für den Job.
„Ich denke, Sarina kann im Fußball alles erreichen, was sie will“, sagte Bullingham. Damit dabei am Sonntag auch in der Heimat möglichst viele zuschauen, will die britische Regierung vielen Pubs die Öffnung und den Ausschank von Bier schon am Morgen erlauben.
Gegen die Spanierinnen, die teils chaotische Monate hinter sich haben, scheinen die Engländerinnen leichter Favorit. Auch aus Protest gegen den streitbaren Nationaltrainer Jorge Vilda waren im vergangenen Herbst 15 Spielerinnen zurückgetreten. Drei, Aitana Bonmati, Mariona Caldentey und Ona Batlle, sind wieder zurück. Und Vilda dürfte sich durch den Erfolg des Finaleinzugs bestätigt sehen. Einen kleinen Schreckmoment gab es am Freitag, als die 19 Jahre alte Starspielerin Salma Paralluelo im Training behandelt werden musste.
„Jeder ist bereit für das Spiel, es gibt keinen Grund zur Sorge“, sagte Batlle. Auch in Spanien ist die Euphorie groß. „Sie spielen auf einem großartigen Niveau“, sagte die spanische Fußball-Ikone Vicente del Bosque, die mit den Männern Welt- und Europameister geworden war, der „AS“.
In Deutschland gaben in einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov 25 Prozent der Deutschen an, das Endspiel am Sonntag im TV verfolgen zu wollen. Angesichts des schwachen Abschneidens der deutschen Nationalmannschaft mit dem Vorrunden-Aus kein schlechter Wert.
Infantino erinnerte während seiner Lobesrede am Freitag auf die „beste und größte Frauen-WM aller Zeiten“ in einem Nebensatz an das deutsche Scheitern. „Marokko und Südkorea haben Deutschland aus dem Turnier geworfen - wer hätte das gedacht?“, sagte der Schweizer, der die Leistungsdichte beim Turnier hervorheben wollte. Die WM sei „magisch“ und eine „Inspiration“ - und hat dem Weltverband nebenbei Einnahmen in Höhe von 570 Millionen US-Dollar beschert.
© dpa-infocom, dpa:230818-99-874601/3