Für Betroffene ist es oft die schwerste Entscheidung ihres Lebens, für die Gesellschaft ein hochsensibles Thema: Abtreibung. In Deutschland ist der Schwangerschaftsabbruch eine Straftat - auch wenn er unter ganz bestimmten Bedingungen nicht bestraft wird. Mehr als 300 Abgeordnete unterschiedlicher Fraktionen im Bundestag wollen das neu regeln. Ihr Antrag wurde im Plenum sehr emotional beraten - doch er läuft Gefahr, durch den Bruch der Ampel-Koalition ausgebremst zu werden.
In Paragraf 218 des Strafgesetzbuches steht quasi ein Kompromiss: Eine Abtreibung ist in Deutschland grundsätzlich rechtswidrig, weil laut Grundgesetz das ungeborene Leben geschützt werden muss. Sie ist aber nicht strafbar, wenn sie innerhalb der ersten zwölf Wochen stattfindet und die Frau sich zuvor hat beraten lassen. Ohne Strafe bleibt ein Abbruch auch, wenn medizinische Gründe vorliegen oder wenn er wegen einer Vergewaltigung vorgenommen wird.
Sie sind der Meinung, dass Frauen, die abtreiben wollen, wegen des Gesetzes schlechter versorgt werden. Die strafrechtliche Regelung schrecke Ärztinnen und Ärzte davon ab, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen, argumentierte die SPD-Abgeordnete Carmen Wegge. Außerdem rechnen die Parlamentarier damit, dass Krankenkassen die Kosten für den Eingriff regulär übernehmen würden, wenn die Illegalität aufgehoben wird.
Laut Statistischem Bundesamt gab es in Deutschland im Jahr 2023 rund 106.000 gemeldete Schwangerschaftsabbrüche - rund 2,2 Prozent mehr als im Vorjahr. Oft sind junge Frauen betroffen, die meisten im Alter zwischen 18 und 34 Jahre. 96 Prozent der Abtreibungen wurden nach der Beratungsregelung vorgenommen. Medizinische Gründe und Sexualdelikte waren nur in vier Prozent der Fälle Grund für den Abbruch.
Der maßgeblich von Grünen und SPD vorangetriebene Entwurf sieht vor, dass Schwangerschaftsabbrüche aus dem Strafgesetz herausgenommen werden. Abtreibungen sollen bis zur 12. Woche rechtmäßig werden. Die Pflicht zur Beratung soll bestehen bleiben, allerdings ohne die derzeit geltende Wartepflicht von drei Tagen zwischen Beratung und Abtreibung. Wenn ein Abbruch ohne Beratungsbescheinigung vorgenommen wird, soll sich künftig nur der Arzt oder die Ärztin strafbar machen. Die Frau bliebe straffrei. Die Kosten sollen die Krankenkassen übernehmen.
Die Parlamentarier argumentierten teils hoch emotional. „Paragraf 218 symbolisiert seit 1871, dass eine Frau nicht das Recht hat, selbst über ihre Schwangerschaft und somit ihr Leben und ihren Körper zu bestimmen“, betonte die Grünen-Abgeordnete Ulle Schauws. Gyde Jensen von der FDP erklärte, in einer solch schwierigen Lage dürften Frauen nicht zusätzlich der Belastung ausgesetzt sein, potenziell eine Straftat zu begehen.
Dorothee Bär von der Union dagegen warf den Befürwortern vor, das Schicksal des ungeborenen Kindes nicht wichtig genug zu nehmen. Beatrix von Storch von der AfD erklärte: „Frauen können ja jetzt schon straffrei das Leben ihres ungeborenen Kindes beenden - ich persönlich finde das furchtbar.“
Der Bundestag kann noch bis zur für den 23. Februar geplanten Neuwahl Gesetze beschließen - mit straffem Plan wäre also ausreichend Zeit. Aber SPD und Grüne allein haben keine Mehrheit im Parlament. Versucht wird die Reform deshalb über einen sogenannten Gruppenantrag. Solche Anträge werden bei ethisch komplexen Fragen über Lagergrenzen hinweg gestellt. In der Regel müssen sich die Abgeordneten bei einer Abstimmung dann nicht an der Linie ihrer Fraktion orientieren, sondern entscheiden ganz frei.
Derzeit sitzen 733 Abgeordnete im Bundestag, für eine Mehrheit sind also 367 Stimmen nötig. Bisher unterstützen 328 Parlamentarier die Abtreibungs-Legalisierung, vor allem von SPD, Grünen und Linken, doch auch das BSW hat Zustimmung angekündigt. Ob der Bundestag überhaupt noch über den Antrag abstimmen wird, ist aber offen. Denn er wurde erst einmal in den zuständigen Rechtsausschuss überwiesen - und ob er zum Beschluss auf die Tagesordnung des Bundestags kommt, wird in diesem Ausschuss entschieden.
Bei Grünen und SPD befürchten einige, dass Union und FDP den Antrag im Rechtsausschuss „versenken“, ihn also so lange nicht zum Beschluss freigeben, bis neu gewählt wird. Die FDP-Abgeordnete Jensen argumentierte im Bundestag, eine solche Debatte dürfe nicht in Eile geführt werden, nötig sei Zeit zum Nachdenken, Zuhören und individuellen Abwägen. Auch Unionsfraktionschef Friedrich Merz hat bereits kritisiert, dass das Thema im Schnellverfahren durchgeboxt werden solle.
Bei der SPD kommt das nicht gut an. Merz stelle sich völlig ins Abseits, kritisierte die parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Katja Mast. „Dass die Union und die FDP nun sogar versuchen, eine Anhörung zu blockieren, ist unerträglich“, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. „Ich rufe Friedrich Merz auf, sich an die Seite der Frauen, Ärztinnen und Ärzte und die eindeutige Mehrheit in unserem Land zu stellen. Die Zeit ist reif für eine Entscheidung.“
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