Die AfD hat ihre Chefin Alice Weidel nun auch offiziell zu ihrer Kanzlerkandidatin bestimmt. Einstimmig und unter donnerndem Applaus wählte ein Parteitag die 45-Jährige im sächsischen Riesa zur Frontfrau im Wahlkampf. Weidel sagte vor den rund 600 Delegierten, von denen viele Deutschlandfähnchen schwenkten, es brauche die AfD, um Deutschland „wieder stark, reich und sicher“ zu machen. Man müsse die Grenzen lückenlos schließen und die Botschaft in die Welt senden: „Die deutschen Grenzen sind dicht.“
Eine Auszählung der Stimmen gab es nicht. Weidel wurde per sogenannter Akklamation gekürt - die Delegierten erhoben sich von ihren Plätzen als Zeichen für ihre Zustimmung. Begleitet von einer Lichtshow, lauter Musik und Jubel betrat Weidel anschließend die Bühne, zeichnete ein düsteres Bild von der Lage in Deutschland und zählte die Positionen der AfD im Wahlkampf auf.
„Wir werden Nord Stream wieder in Betrieb nehmen“, rief sie etwa unter Beifall über die Erdgas-Leitung nach Russland. Sie warf der Union vor, vom AfD-Wahlprogramm abzuschreiben und schmähte die CDU als „Betrügerpartei“, die man überholen müsse. Die AfD-Spitzenfrau machte außerdem deutlich, dass sie mit dem Begriff „Remigration“ kein Problem hat. Tosenden Beifall gab es für ihren Ausruf: „Wenn wir am Ruder sind, wir reißen alle Windkraftwerke nieder. Nieder mit diesen Windmühlen der Schande.“
Der Co-Vorsitzende, Tino Chrupalla, appellierte zuvor an seine Partei mit Blick auf aktuelle Umfragen: „Jetzt müssen wir die 20-Prozent-Marke hinter uns lassen und weiter klettern“, mit dem Ziel, Weidel zur Bundeskanzlerin zu machen. Er selbst halte dafür der „Frontfrau den Rücken frei“. Sachsens AfD-Chef Jörg Urban sagte an die Adresse des Kanzlerkandidaten der Union, Friedrich Merz (CDU): „Herr Merz, ziehen Sie sich warm an, wir kommen!“ Unter lautem Jubel fügte er hinzu: „Alice für Deutschland!“
Der US-Milliardär Elon Musk verlinkte auf seiner Plattform X auf den Livestream des Parteitags und verhalf der AfD damit erneut international zu enormer Reichweite. Die Beiträge des Tesla-Chefs verfolgen mehr als 210 Millionen Menschen weltweit. Musk wirbt seit längerem für die AfD und hatte kurz vor dem Parteitag mit einem Live-Gespräch mit Weidel für Aufsehen gesorgt.
Es ist das erste Mal in der fast zwölfjährigen Geschichte der AfD, dass sie eine Kanzlerkandidatin benennt. Weidel hatte das mit den Umfragewerten der Partei begründet. Daraus leite sich ein Regierungsauftrag ab. Die AfD liegt in Umfragen seit Monaten mit großem Abstand auf dem zweiten Platz hinter CDU und CSU - aktuell bei um die 20 Prozent. In sechs Wochen wird nach dem Bruch der Ampel-Koalition vorzeitig ein neuer Bundestag gewählt.
Da im Bundestag keine Mehrheiten für eine AfD-Kanzlerin oder einen AfD-Kanzler in Sicht sind, weil keine Partei mit der AfD dafür stimmen würde, hat die Kandidatur Weidels aber vor allem symbolischen Charakter.
Der Parteitag begann mit mehr als zwei Stunden Verspätung. Wegen zahlreicher Blockaden von Zufahrtswegen durch Gegendemonstranten verzögerte sich die Anreise vieler der rund 600 Delegierten. Das zweitägige Treffen sollte um 10 Uhr beginnen und startete schließlich erst eine viertel Stunde nach 12.
Die Organisatoren der Proteste sprachen von 12.000 Teilnehmern, die Polizei von 10.000. Vor der Halle versammelten sich mehrere Tausend AfD-Gegner. Immer wieder kam es zu Rufen gegen ankommende Parteitagsteilnehmer, wie „Ganz Deutschland hasst die AfD“.
Verschiedene Mitglieder des Bundesvorstands waren nach eigenen Angaben frühzeitig mit Bussen unter Polizeibegleitung problemlos angereist. Bei anderen AfD-Vertretern kam es zu großen Verzögerungen, weil sie wegen Blockaden im Stau standen. Auch Weidels Auto wurde nach ihren Angaben von Demonstranten aufgehalten. Parteichef Tino Chrupalla nannte die Anreise mehr als beschwerlich.
Inhaltlich geht es bei dem zweitägigen Parteitag um das Wahlprogramm der AfD für die Bundestagswahl. Ein Entwurf liegt vor. Darin werden etwa Forderungen nach einem Austritt aus der EU, dem Euro und dem Pariser Klimaabkommen erhoben. Mehrere Punkte sind aber noch strittig. Es gibt zahlreiche Änderungsanträge zum Beispiel in den Bereichen Außen-, Energie-, Migrations- und Familienpolitik, über die in Riesa debattiert und abgestimmt werden soll.
Ein kontroverser Punkt auf der Tagesordnung dreht sich zudem um den AfD-Nachwuchs: Die AfD-Spitze will die Jugendorganisation „Junge Alternative“ (JA), die der Verfassungsschutz als „gesichert extremistische Bestrebung“ einstuft, durch eine neue Organisation mit dem Namen „Patriotische Jugend“ ersetzen, die enger an die Partei gebunden ist.
Durch die Reform erhofft sich die AfD-Spitze nach eigener Aussage mehr Durchgriff etwa bei Fehlverhalten. Experten sehen als Motivation auch, dass die AfD-Jugend, wenn sie kein eigenständiger Verein mehr ist, besser vor einem Verbot geschützt wäre.
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