Aufregung um EU-Atombombe: Alles nur eine Geisterdebatte? | FLZ.de

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Veröffentlicht am 14.02.2024 18:19

Aufregung um EU-Atombombe: Alles nur eine Geisterdebatte?

Ein Bundeswehr-Flugzeug vom Typ Tornado auf dem Fliegerhorst Büchel in der Eifel. Dort sollen - offiziell nie bestätigt - etwa 20 thermonukleare B61-Gravitationsbomben der US-Streitkräfte lagern. (Foto: Harald Tittel/dpa)
Ein Bundeswehr-Flugzeug vom Typ Tornado auf dem Fliegerhorst Büchel in der Eifel. Dort sollen - offiziell nie bestätigt - etwa 20 thermonukleare B61-Gravitationsbomben der US-Streitkräfte lagern. (Foto: Harald Tittel/dpa)
Ein Bundeswehr-Flugzeug vom Typ Tornado auf dem Fliegerhorst Büchel in der Eifel. Dort sollen - offiziell nie bestätigt - etwa 20 thermonukleare B61-Gravitationsbomben der US-Streitkräfte lagern. (Foto: Harald Tittel/dpa)

Donald Trump hat weder ein politisches Amt, noch ist sicher, dass er demnächst wieder für eins kandidiert. Und trotzdem hat er es geschafft, mit nur wenigen Worten die gesamte Nato in helle Aufregung zu versetzen.

Vom deutschen Bundeskanzler bis zum Nato-Generalsekretär reagieren europäische Spitzenpolitiker mit Abscheu und Empörung auf seine Drohung, säumige Zahler unter den Nato-Partnern im Zweifelsfall der russischen Kriegsmaschinerie zu überlassen. Andere sehen darin eher einen Weckruf und machen Vorschläge, was jetzt zur Vorbereitung auf einen möglichen Wahlsieg Trumps bei der US-Präsidentenwahl am 5. November zu tun sei.

Als Top-Thema der Debatte hat sich die nukleare Abschreckung herauskristallisiert. Brauchen die europäischen Nato-Staaten einen eigenen nuklearen Schutzschirm für potenzielle Angriffe der benachbarten Atommacht Russland? Einige halten das für eine Geisterdebatte, andere finden die Diskussion zwingend notwendig.

Welche Nato-Staaten besitzen Atomwaffen?

Von den neun Ländern, die über Atomwaffen verfügen, sind drei in der Nato: die USA, Frankreich und Großbritannien. Die Nuklear-Arsenale dieser drei Länder sind aber sehr unterschiedlich gefüllt. Laut Friedensforschungsinstitut Sipri besitzen die USA gut 5200 der weltweit 12.500 Atomwaffen. Großbritannien (225) und Frankreich (290) kommen zusammen gerade mal auf ein Zehntel davon. Russland hat laut Sipri sogar noch etwas mehr Atomwaffen als die USA, nämlich knapp 5900.

Wie funktioniert die nukleare Abschreckung der Nato bisher?

Kern des Abschreckungssystems sind die in Europa stationierten US-Atomwaffen, an deren Einsatz über das Konzept der „nuklearen Teilhabe“ auch Länder wie Deutschland beteiligt werden könnten. Weiterer Bestandteil sind die Atomwaffen, über die die europäischen Nato-Staaten Großbritannien und Frankreich verfügen.

Wie ist Deutschland genau beteiligt?

Die Bundeswehr hält Kampfflugzeuge vor, um im Ernstfall US-Atombomben einsetzen zu können. In Büchel in der Eifel sollen - offiziell nie bestätigt - etwa 20 thermonukleare B61-Gravitationsbomben der US-Streitkräfte lagern. Bislang können sie unter deutsche Tornados geklinkt werden. Entschieden wurde aber, hochmoderne Tarnkappenjets vom Typ-F-35 für die Aufgabe zu beschaffen, um die Luftwaffe auch künftig einsatzfähig zu halten. Militärexperten verweisen darauf, dass Deutschland mit der Fähigkeit zum Einsatz auch den Zugang zu den nuklearen Planungen in der Nato hat.

Warum hat Deutschland keine eigenen Atomwaffen?

Die 1954 unterzeichneten Pariser Verträge regelten das Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den drei Westmächten USA, Großbritannien und Frankreich neu. Westdeutschland verzichtete damals auf die Produktion von Atomwaffen, doch habe sich Bundeskanzler Konrad Adenauer eine nukleare Option für die Bundesrepublik offenhalten wollen, schreiben Forscher des Zentrums für Militärgeschichte in Potsdam. Sie verweisen auf eine Äußerung Adenauers 1957, in der er taktische Atomwaffen als eine „Weiterentwicklung der Artillerie“ bezeichnet habe, die unverzichtbar sei. Der völkerrechtlich wirksame Verzicht auf atomare, biologische und chemische Waffen sei dann aber 1990 zur Vereinigung Deutschlands bekräftigt worden.

Wie will Frankreich die nukleare Abschreckung verändern?

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron fordert seit langem, dass sich Europa unabhängiger von der Supermacht USA machen sollte und hat Deutschland und anderen EU-Partnern wiederholt Gespräche zur atomaren Abschreckung in der EU angeboten. Dabei könnte es um die Frage gehen, ob es eine stärkere europäische Dimension der nuklearen Abschreckung geben könnte. Kritiker werfen Frankreich allerdings vor, nur auf der Suche nach Geld für die Modernisierung seines Atomwaffenarsenals zu sein - zumal Frankreich hinter den Kulissen deutlich macht, dass eine Vergemeinschaftung der Kontrolle über seine Atomwaffen ausgeschlossen ist.

Wie könnte eine europäische nukleare Abschreckung denn faktisch aussehen?

Auf diese Frage gibt es bislang keine klare Antwort. Theoretisch könnte Frankreich etwa öffentlich garantieren, dass es bereit wäre, seine Atomwaffen zum Schutz europäischer Interessen einzusetzen. Grundsätzlich gibt es auch im EU-Vertrag eine Beistandsverpflichtung. So heißt es in Artikel 42.7: „Im Falle eines bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats schulden die anderen Mitgliedstaaten ihm alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung.“

Was hält die Bundesregierung von dem französischen Gesprächsangebot?

Sie ist gespalten. Finanzminister Christian Lindner (FDP) hat sich einem Gastbeitrag für die „FAZ“ positiv zu dem Vorstoß Macrons geäußert und meint, man müsse darüber reden. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sagte dagegen zu der Frage, ob sich die Bundesregierung zu Angeboten Macrons nicht verhalten müsse: „Nein, das müssen wir nicht.“ Aus seiner Sicht müsse der amerikanische Schutzschirm gehalten und nicht leichtfertig aufgegeben oder infrage gestellt werden.

So sieht das auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). „Ich weiß nicht, was diese Diskussion heute soll“, sagte er der „Zeit“ zu den Gedankenspielen über einen europäischen Nuklearschirm. Pistorius hält die Diskussion sogar für gefährlich „Die Nukleardebatte brauchen wir jetzt aktuell wirklich als Letztes. Das ist eine Eskalation in der Diskussion, die wir nicht brauchen.“

© dpa-infocom, dpa:240214-99-989160/2


Von dpa
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