Backstage-Foto statt Parteiprogramm – Pop im Wahlkampf | FLZ.de

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Veröffentlicht am 04.12.2024 11:28

Backstage-Foto statt Parteiprogramm – Pop im Wahlkampf

Delegierte basteln Armbänder beim Parteitag von Bündnis90/Die Grünen. (Archivbild) (Foto: Michael Kappeler/dpa)
Delegierte basteln Armbänder beim Parteitag von Bündnis90/Die Grünen. (Archivbild) (Foto: Michael Kappeler/dpa)
Delegierte basteln Armbänder beim Parteitag von Bündnis90/Die Grünen. (Archivbild) (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Die USA hat Taylor Swift, Deutschland Herbert Grönemeyer. Popstars spielen eine Rolle im Wahlkampf, auch hierzulande. Manchmal, etwa im Fall von Grönemeyer, tun sie das wider Willen. Manchmal bieten sich Stars aber auch offensiv Politikern an – etwa unlängst Dieter Bohlen, als er sich als Berater des nächsten Kanzlers empfahl. Woher kommt diese Vermischung von Pop und Politik? Und was hat sie zu bedeuten? Eine Annäherung im aktuellen Wahlkampf.

Politik und Pop hat auch in Deutschland Tradition

„Auch in Deutschland existiert eine lange Tradition der Unterstützung von Parteien und Politiker:innen durch (Pop-)Künstler:innen“, sagt der Medien- und Kommunikationswissenschaftler Jörg-Uwe Nieland. Er erzählt von Gerhard Schröders Freundschaft zu Scorpions-Sänger Klaus Meine, Schröders Treffen mit Udo Lindenberg und dem Maler Markus Lüpertz sowie Auftritten der Band BAP bei Veranstaltungen von Schröder oder Joschka Fischer.

Nieland rechnet damit, dass Pop auch im weiteren deutschen Wahlkampf vor der Neuwahl am 23. Februar eine Rolle spielen wird. „Denn mit Hilfe der (Pop-)Künstler:innen werden Aufmerksamkeit, Anschlusskommunikation sowie Mobilisierung generiert - gerade beim jungen Publikum bzw. den jungen Wähler:innen.“

Habeck als Swiftie

Ob Taylor Swift weiß, dass die Grünen unlängst auf ihrem Parteitag in Anlehnung an die Fans der US-Musikerin Armbändchen knüpfen ließen? Und Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck selbst eins mit der Aufschrift „Kanzler Era“ trug, in Anlehnung an die „Eras Tour“ der Musikerin? Vermutlich nicht.

Herbert Grönemeyer hingegen nahm aktiv wahr, dass nicht nur Habeck, sondern auch die CDU seinen Song „Zeit, dass sich was dreht“ im Wahlkampf verwendeten, und wehrte sich dagegen. Warum übt gerade dieses Lied so einen Reiz auf deutsche Politiker aus?

Musik ruft Gefühle wach

„Es ruft die Erinnerungen an die Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland wach“, lautet Nielands Einschätzung. „Und das Gemeinschaftsgefühl, die Identifikation, die es damals beim sogenannten Sommermärchen gegeben hat. Außerdem soll es auch zeigen: Politiker und Politikerinnen haben verstanden, dass man aktiv werden muss, etwas in Bewegung setzen, um den Stillstand oder die Krise zu überwinden.“ Das Lied stehe für eine bestimmte Stimmung: nach vorn blicken und etwas in Angriff nehmen.

Musik kann direkter und emotionaler wirken, als eine Rede es tut. Verständlich, dass Politikerinnen und Politiker versuchen, sich das zunutze zu machen. Doch der Vermischung von Pop und Politik liegen auch andere Faktoren zugrunde.

Stärkere Personalisierung im Wahlkampf

Sie sind ein Beleg für die starke Personalisierung im Wahlkampf – die derzeit eine neue Dimension erreicht, wie Lenz Jacobsen unlängst in der „Zeit“ schrieb. „Die Selbstverständlichkeit, mit der Parteien mittlerweile als Backoffice und Bodentruppe einzelner Starpolitiker verstanden werden, ist derzeit besonders frappierend“, schreibt er.

Der Wissenschaftler Nieland sieht es ähnlich. „Personalisierung und Unterhaltungsorientierung nehmen zu. Es sind immer weniger die politischen Programme, über die diskutiert wird, als viel mehr die Personen und ihre Performance.“ Zwar sei das in den USA noch extremer. „Die Tendenz zu mehr Personalisierung und Spektakel ist aber auch in Deutschland messbar und nachgewiesen.“

Personalisierung und Unterhaltungsorientierung führten dazu, dass die Politiker und Politikerinnen versuchen, Unterstützung durch in der (Pop-)Kultur prominente Personen zu bekommen, „in der Hoffnung, dass sich die Prominenz der Popkünstler:innen auf sie überträgt“, sagt Nieland. 

Söder singt Schlager, Habeck Brecht

Politiker möchten sich als nahbar darstellen. Wer Musik hört, zu dem kann man vielleicht leichter eine Bindung aufbauen. Deswegen beschreibt sich der bayerische Ministerpräsident Markus Söder bei Spotify schon lange als „großer Musikfan“ und postet Lieder in der Playlist „Söder Songs“. Abba und The Cure sind darunter, aber auch der „Bayerische Defiliermarsch“.

Vielen in Erinnerung geblieben sind vielleicht auch Habecks und Söders Auftritte in der ARD-Show „Inas Nacht“. Söder hat dort den Schlager „Sie hieß Mary-Ann“ von Freddy Quinn vorgetragen, Habeck „Die Moritat von Mackie Messer“ aus der Dreigroschenoper von Bertolt Brecht.

Die „Verpoppung“ der Politik und die Sozialen Medien

Wie die Verbindung zu Künstlern hat auch die persönliche Inszenierung von Politikern Tradition, weiß Nieland. „Adenauer hat sich beim Boccia-Spielen gezeigt, andere in Badehose.“ Mit solchen Inszenierungen zeigten die Politiker und Politikerinnen, „dass ihr Leben nicht nur hinter dem Schreibtisch oder im Flugzeug oder im Parlament stattfindet.“ Nieland nennt das auch die „Verpoppung“ der Politik. 

Zudem hätten die Politikerinnen und Politiker verstanden, wie die Sozialen Medien funktionierten, ergänzt er. „Es braucht 24/7-Content, möglichst bunt und aufsehenerregend. Und was ist da besser als ein schneller Post? Ich war im Fußballstadion oder auf einem Konzert. Ich mache ein Backstage-Foto auf Instagram mit einer prominenten Person. Das ist wichtiger als ein Zitat aus dem Parteiprogramm.“

Hat Pop einen Einfluss auf das Wahlergebnis?

Doch welchen Effekt hat das Ganze? Spätestens seit dem US-Wahlkampf, bei dem die demokratische Kandidatin Kamala Harris Unterstützung einer schier endlosen Reihe von Superstars erhielt, ist klar, dass Popstars keine Wahlen gewinnen. 

Der US-Politikwissenschaftler David J. Jackson sagte dem Nachrichtenportal „Vox“, dass prominente Befürworter eher „bescheidene Auswirkungen“ hätten, wenn es darum geht, Wähler für sich zu gewinnen. Eher dienten sie dazu, die Begeisterung für einen Kandidaten zu steigern, zu dem ein Wähler vielleicht schon tendiert. 

„Die Effekte solcher Aktivitäten sind zwar kaum zu quantifizieren, aber oftmals bedeutsam“, sagt Nieland. „Ich sehe den wichtigsten Effekt in der Anschlusskommunikation, die in den klassischen Medien, auf den sozialen Plattformen und in Gesprächen am Arbeitsplatz, zwischen Freunden und in der Familie stattfinden.“

Meistens sind es in Deutschland aber eher die Politikerinnen und Politiker, die sich den Popstars zuwenden, selten ist es andersherum. Wenn keinen Einfluss auf das Wahlergebnis, hat dies zumindest oft Gesprächswert. Wer einmal Söder mit sonorer Stimme über einen Seemann hat singen hören, wird dies vermutlich so schnell nicht mehr vergessen.

© dpa-infocom, dpa:241204-930-307509/1


Von dpa
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