Zur Realität von Mercedes gehört es mittlerweile auch, sich mit weniger zufriedenzugeben. Und so wäre es schon als großer Erfolg zu werten, wenn der gefallene Branchenführer der Formel 1 diese Saison zumindest wieder als Nummer zwei hinter Red Bull beendet.
„Wir müssen anerkennen, dass jemand einen besseren Job macht als wir“, sagte Teamchef Toto Wolff in Suzuka. Den Großen Preis von Japan dominierte Max Verstappen am Sonntag und eilt auch das vierte Jahr nacheinander ungebremst in Richtung des WM-Titels, der für die Silberpfeile schon wieder unerreichbar ist. „Niemand wird Max dieses Jahr mehr abfangen“, sagte Wolff. Es gehe „nur noch darum, wer der Beste vom Rest wird“.
Nach vier von 24 Rennen ist Mercedes im Ringen um die Rolle des ersten Verfolgers, quasi einer eigenen B-Weltmeisterschaft, nicht mal in der Spitzenposition. Platz vier mit 34 Punkten in der Teamwertung ist eine Enttäuschung. Vor allem Ferrari (2./120) und McLaren (3./69) heißen hinter Red Bull (1./140) die Widersacher des besten Rennstalls der Jahre 2014 bis 2021. Achtmal nacheinander gewann der deutsche Autobauer die Konstrukteurs-WM, Lewis Hamilton wurde sechsmal Fahrer-Weltmeister, Nico Rosberg einmal. Danach zog Red Bull um Verstappen nach einer Änderung der Regularien vorbei.
„2026 gibt es einen großen Neustart, und dann bietet sich die realistische Chance für alle anderen Teams, Red Bull zu schlagen“, sagte Wolff: „Aber davor gibt es noch eine ganze und eine dreiviertel Saison - und in diesen Monaten möchte ich nicht nur leiden.“ Deswegen müssen Lösungen gefunden werden. Obwohl es Rekordweltmeister Hamilton und George Russell in Japan nur auf die Plätze neun und sieben schafften, gehe es in die richtige Richtung. Im Gesamtklassement belegen sie die gleichen Plätze, zusammen haben sie nicht mal die Hälfte der Punkte von Verstappen.
„Wenn ich auf die Resultate schaue, dann ist das ganz klar nicht gut“, sagte Wolff. Und vor allem ist das Ergebnisfiasko ohne Rennsieg seit November 2022 der Weltmarke Mercedes unwürdig. „Wir verlassen Suzuka sicher nicht glücklich, aber wir sind überzeugt, dass bald mehr kommen wird“, sagte Wolff. Das Auto des Vorjahres war eine Fehlkonstruktion, nun sei es nicht ganz so dramatisch. „Wenn wir im Feld nach vorn kommen wollen, müssen wir mehr Leistung finden“, sagte Hamilton aber und forderte: „Wir müssen weiter hart arbeiten.“
Der 39-Jährige wechselt zur nächsten Saison zu Ferrari, kündigte aber an, sich mit seiner bestmöglichen Leistung verabschieden zu wollen. Selbst diese kann der siebenmalige Champion aber derzeit nicht zeigen und muss den schlechtesten Saisonstart in 18 Jahren Karriere verkraften. „Wir haben ein paar Fortschritte gemacht, und das war positiv“, sagte Russell (26), der auch 2025 noch im Cockpit des Werksteams sitzen wird.
Wer Hamilton ersetzt, bleibt offen. Wolff würde gerne Verstappen verpflichten, doch sportlich macht dieser Wechsel für den Niederländer keinen Sinn. Zum einen hat er einen bis 2028 gültigen Vertrag bei Red Bull und könnte wohl nur durch eine besondere Klausel vorzeitig gehen. Zudem dürfte der 26-Jährige kaum einfach so vom besten Wagen in den Boliden eines strauchelnden Rennstalls aus dem Mittelfeld steigen wollen. Weitere Kandidaten sind das italienische Talent Kimi Antonelli (17) und der spanische Routinier Fernando Alonso (42).
„Der Kampf läuft. Wir kämpfen für Platz zwei, das ist genauso unsere Realität wie letztes Jahr“, sagte Wolff und gab einen Einblick in die Gefühlswelt in seiner Garage: „Die Erwartung ist es immer, Siege und Meisterschaften zu holen. Es ist überhaupt nicht befriedigend, nur um Platz zwei zu kämpfen.“
Ob es für die Fans denn nun den Rest des Jahres langweilig werden würde, wurde der 52-jährige Österreicher gefragt. „Ich denke, Ferrari kann noch näher an Red Bull herankommen und wir können noch näher an Ferrari herankommen“, sagte Wolff, der auch ein Drittel der Anteile an dem Rennstall hält. Gerade im Mittelfeld könne es spannende Kämpfe geben, sagte Wolff. Doch die Fans wollen packende Fights um die Spitze sehen. „Wir geben alles, um eine bessere Show zu bieten und sie herauszufordern“, sagte Wolff. Zu Ferrari soll möglichst schnell aufgeschlossen werden. „Und das werden wir auch wieder. Das ist für uns ein viel realistischeres Ziel, als mit Max mithalten zu können.“
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