Matchwinner Andreas Wolff wurde von seinen jubelnden Mitspielern im Überschwang der Gefühle fast zu Boden gerissen. Dann ließen sich die deutschen Handballer mit Freudentränen in den Augen von den vielen Fans aus der Heimat für den größten Coup seit dem EM-Triumph vor acht Jahren feiern. Mit dem Einzug ins Olympia-Finale durch das 25:24 (12:12) gegen Spanien hat das Team von Bundestrainer Alfred Gislason bereits die Silbermedaille sicher und kann die deutschen Handball-Festtage am Sonntag (13.30 Uhr) im Endspiel gegen Weltmeister Dänemark mit einem Gold-Coup maximal veredeln.
„Das ist großartig. Wir haben acht Jahre darauf gewartet, wieder ein Finale zu erreichen. Ich denke, wir haben gezeigt, was in diesem Team steckt. Wir sind überglücklich, dass wir eine Medaille gewonnen haben. Jetzt ist es nur noch ein Schritt, um Geschichte zu schreiben“, sagte Wolff.
Nach dem Abpfiff schlugen die Gislason-Schützlinge immer wieder ihre Hände ungläubig vors Gesicht und wollten am liebsten die ganze Welt umarmen. Auch der Bundestrainer war mittendrin in der Jubel-Traube und adelte später sein junges Team. „Dieser Erfolg macht mich sehr stolz. Noch stolzer macht mich aber, wie die Mannschaft spielt“, sagte der 64 Jahre alte Isländer und lobte: „Juri Knorr und Renars Uscins waren am Ende überragend.“
Zwei Tage nach dem epischen Erfolg im Viertelfinale über Europameister und Topfavorit Frankreich war Torwart-Routinier Wolff beim nächsten Handball-Krimi vor rund 20.000 Fans in Lille mit unglaublichen 22 Paraden aber der Sieg-Garant für die unerfahrene DHB-Auswahl. „Andi hat ein unglaubliches Spiel gemacht. Ich habe viele sehr gute Spiele von ihm gesehen, aber das war das beste. Es war eine unglaubliche Leistung von ihm“, adelte Gislason den Matchwinner.
Gegner im Endspiel ist Dänemark. Der Olympiasieger von 2016 setzte sich im Halbfinale gegen Slowenien mit 31:30 durch. Der Finaleinzug ist schon jetzt der größte Erfolg für die deutschen Handballer in der jüngeren Geschichte seit Olympia-Silber 2004 in Athen, dem WM-Triumph 2007 im eigenen Land sowie dem EM-Titel 2016.
Überflieger Renars Uscins war mit sechs Toren erneut bester Werfer für Schwarz-Rot-Gold. Der überragende Mann auf dem Parkett war aber Wolff. „Andi hat sich gefühlt alles für dieses Spiel aufgehoben. Ein Teufelskerl, der alles hält, was auf ihn zukommt“, sagte Rückraumspieler Sebastian Heymann und fügte mit Blick auf das Finale hinzu: „Wir sind wahnsinnig stolz auf das, was wir erreicht haben. Jetzt wollen wir den letzten Schritt gehen.“
Schon in der Vorrunde hatte sich das DHB-Team gegen Spanien in einem spannenden Spiel mit 33:31 durchgesetzt. Für die Iberer war es in ihrem fünften olympischen Halbfinale die fünfte Niederlage.
Nach dem Feldhandball-Gold bei Olympia 1936 in Berlin ist der Erfolg der DDR-Auswahl 1980 in Moskau der bislang einzige Titel einer deutschen Hallenhandball-Mannschaft unter den fünf Ringen. 2004 in Athen musste sich die Auswahl um Stefan Kretzschmar und Henning Fritz im Finale den Kroaten geschlagen geben. Vor acht Jahren in Rio holten Wolff und seine Teamkollegen Bronze.
Der dramatische Viertelfinal-Krimi in Überlänge hatte Kräfte gekostet, doch das deutsche Team zeigte keine Nachwirkungen. Von Müdigkeit war keine Spur. Die Abwehr war hellwach und konnte sich im Notfall auf den auftrumpfenden Wolff im Tor verlassen.
Der 33-Jährige zeigte seine beste Turnierleistung und parierte alleine in der ersten Halbzeit elf Würfe der Spanier. Mal mit der Fußspitze, mal mit der Schulter, mal ganz langweilig mit der Hand. Sein grandioser Auftritt weckte bei den Spaniern weit verdrängte Erinnerungen an das EM-Finale 2016, als sie reihenweise am deutschen Schlussmann verzweifelten.
Weil seine Vorderleute nicht auf demselben Niveau agierten und zu viele Chancen vergaben, blieb es eng. Einen zwischenzeitlichen Vier-Tore-Vorsprung büßte das DHB-Team mit dem Pausenpfiff ein.
Zu Beginn der zweiten Halbzeit wachte dann auch Rückraum-Ass Uscins auf, der Deutschland fast im Alleingang ins Halbfinale geworfen hatte. Nach vier Toren des Linkshänders konnte sich das DHB-Team leicht auf 18:16 absetzen. Insgesamt blieb die Chancenverwertung aber ausbaufähig.
Umso wichtiger war es, dass Wolff sein hohes Niveau halten konnte. In der Schlussphase wurde es hektisch. Deutschland unterliefen nun vermehrt einfache Fehler. Uscins vergab einen Siebenmeter. Rund neun Minuten vor Spielende ging Spanien erstmals in Führung (23:22). Es entwickelte sich das nächste deutsche Handball-Drama - und wie zuvor gegen Frankreich gab es ein Happy End.
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