Die Natur soll hier Natur sein dürfen: In Nationalparks werden Tiere und Pflanzen weitgehend sich selbst überlassen. Es gibt jagdfreie Zonen, umgestürzte Bäume bleiben liegen. Was 1970 im Bayerischen Wald begann, ist im Bundesnaturschutzgesetz verankert. Mittlerweile gibt es 16 Nationalparks - und es könnten mehr werden. Doch nicht alle Seiten finden das gut.
In Schleswig-Holstein etwa ist die CDU um Ministerpräsident Daniel Günther zwar für mehr Schutz der Ostsee - aber nicht in Form eines Nationalparks, wie es die Grünen wollen, die den Umweltminister stellen. Der CDU-Forstminister in Baden-Württemberg will die im grün-schwarzen Koalitionsvertrag vereinbarte Erweiterung des Nationalparks Schwarzwald nicht - oder nur möglichst wenig davon.
In Nordrhein-Westfalen wiederum hat die schwarz-grüne Landesregierung im Schulterschluss die Suche nach einem zweiten Nationalpark gestartet. Doch der SPD-Landrat im Kreis Siegen-Wittgenstein sprach sich gegen eine Bewerbung des Rothaarkamms samt einem Wisent-Projekt aus und kritisierte die Landesregierung, deren Zeitplan sei zu knapp. Nach einem Votum des Kreistags soll es vorerst jedoch keinen Verzicht auf eine Bewerbung geben, die Frist dafür aber verschoben werden.
Laut dem Bundesamt für Naturschutz (BfN) beträgt die Gesamtfläche der Nationalparks in Deutschland gut 1,05 Millionen Hektar. Ein Großteil davon liegt im Meer. An Land gibt es 208 238 Hektar. Das entspricht rund 0,6 Prozent des Bundesgebietes.
Die meisten deutschen Nationalparks sind den Angaben nach im Moment noch „Entwicklungs-Nationalparks“. Sie erfüllen also erst in Teilen die Kriterien für eine großflächige, ungestörte Naturentwicklung. Es gibt laut BfN weitere Gebiete, die sich als Nationalpark eignen - etwa Buchenwaldökosysteme und ehemalige militärische Übungsplätze.
Für Nationalparks wird eine Mindestgröße von 10 000 Hektar empfohlen. Kleinere Schutzgebiete würden stärker von Einflüssen von außen wie Schadstoffen beeinflusst, erklärt eine BfN-Sprecherin. Zudem solle auf in der Regel 75 Prozent der Nationalpark-Flächen ein möglichst ungestörter Ablauf der „natürlichen Dynamik“ gewährleistet sein.
Bis Ende nächsten Jahres läuft eine Evaluierung aller Nationalparks in Deutschland. Wesentliches Ziel ist „die Identifizierung von Stärken und Schwächen sowie deren Ursachen“, wie es beim Verein Nationale Naturlandschaften heißt. Defizite müssten behoben werden, betont eine Sprecherin der Nationalpark-Verwaltung Hainich in Thüringen. „Nationalparks ohne Qualität sind nur Etikettenschwindel.“
In einer ersten Runde vor mehr als zehn Jahren hatten Fachleute unter anderem als Stärken analysiert, dass sich die Grundstimmung gegenüber den Nationalparks bei Presse, Anwohnern und Besuchern im Laufe der Zeit verbessert habe und die Schutzgebiete als wichtige regionale Attraktion - insbesondere durch Gemeinden und Tourismus - anerkannt würden. Als Schwächen kristallisierten sich unter anderem wenige Untersuchungen zu ökonomischen Effekten in den Regionen heraus und schlechte Anbindungen etwa per Linienbussen jenseits der Hauptsaison.
Fragt man vor Ort, listen Nationalparkverwaltungen jede Menge Beispiele auf, wie ihre Parks Naturschutz, Erholung und Forschung ermöglichen. Im Bayerischen Wald etwa zählt man jährlich rund 1,3 Millionen Besucher. Es gebe ein Führungsprogramm mit mehr als 3000 Veranstaltungen. Bäche versorgten weite Teile Ostbayerns mit klarem Trinkwasser, ohne dass die Nitratbelastung Grenzwerte reiße.
Der Nationalpark Hainich verweist unter anderem auf die größte nutzungsfreie Laubwaldfläche Deutschlands und allein mehr als 2000 erfasste Käferarten: darunter Neunachweise für Thüringen und Deutschland sowie Wiederfunde von Arten, die als ausgestorben galten. Vogelarten wie Braunkehlchen, Grauammer und Neuntöter fühlten sich hier wohl.
Und auch die seltene Gelbbauchunke solle hier eine Zukunft haben. Doch da zeigt sich ein Dilemma: Die Tiere leben im südlichen Areal auf einem früheren Truppenübungsplatz. Diese „Offenlandlebensräume“ würden unter „Natur Natur sein lassen“-Bedingungen wieder zu Wald werden, erklärt die Sprecherin. Daher gibt es Projekte zur Beweidung.
Nüchtern ist die Bilanz im Nationalpark Schwarzwald, wo der Bestand an Rothirschen laut Landesumweltministerium seit der Parkgründung trotz mehr als 3000 Hektar ausgewiesener jagdfreier Wildruhezone nicht zugenommen hat. Und die Population des Symboltiers der Region, das Auerhuhn, schrumpfte gar über Jahre. Immerhin: In diesem Frühjahr zählten Beobachter sechs balzende Hähne mehr als im Vorjahr.
Laute Kritik kommt vor allem aus der Forstwirtschaft. Andreas Bitter, Präsident der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände, erachtet Nationalparks als kontraproduktiv für Klimaschutz und Holzversorgung: „Keine Holzernte heißt kein Ersatz klimaschädlicher Bau- und Brennstoffe wie Beton, Aluminium, Gas und Öl.“
Auch die Artenvielfalt sei in den Parks oft nicht größer als in naturnah bewirtschafteten Wäldern. Vielfach breiten sich Bitter zufolge Borkenkäfer aus. „Diese können auf noch gesunde Wälder in der Nachbarschaft überspringen.“ So betonen auch Forstfachleute der Landwirtschaftskammer Niedersachsen mit Blick auf den Harz, dass Schäden zum Beispiel durch Insekten sehr genau überwacht und die Ergebnisse mit allen regionalen Akteuren erörtert werden sollten.
Mit dem Klimawandel argumentiert auch der Präsident des Deutschen Forstwirtschaftsrats, Georg Schirmbeck: Gerade wegen dessen rasanten Fortschreiten des Klimawandels müssten Wälder gezielt umgebaut werden. Den natürlich nachwachsenden Rohstoff Holz nicht mehr regional nutzen zu dürfen, hat seinen Ausführungen nach Auswirkungen auf Arbeitsplätze für Forstbetriebe, die holzverarbeitende Industrie und das Handwerk über die Region hinaus.
© dpa-infocom, dpa:231015-99-569577/2