Dies sollte ein Ort für Musik, für Party, Toleranz und kunterbunten Spaß sein. Doch auf Malmös Straßen herrscht angespannte Stimmung. In der südschwedischen Stadt bleiben die Sicherheitskräfte rund um den Eurovision Song Contest (ESC) alarmiert. Denn so sehr die Ausrichter betonen, ein unpolitisches Event zu feiern - in diesem Jahr lässt sich der lange Schatten des Gaza-Kriegs von dem bunten Show-Spektakel nicht fernhalten. Das spürt nicht nur Israels Act Eden Golan, das spürt die ganze Stadt. Malmö ist bereits zum dritten Mal Gastgeber, war es bereits 1992 und 2013. So etwas ist es nicht gewohnt.
Bereits beim Halbfinale ist die Stimmung aufgeheizt. Golan wird umringt von Sicherheitskräften zur Halle geleitet, während vor der Tür der „Malmö Arena“ Proteste gegen die Teilnahme Israels laufen. Etwa 10.000 bis 12.000 Demonstrierende füllen die Straßen der Stadt und fordern den Ausschluss Israels vom Wettbewerb. Ausschreitungen bleiben zunächst aus, doch die Polizei erwartet für das Finale am Samstag weitreichende Proteste.
Ein Lichtblick für Golan: Trotz Buhrufen und Pfiffen auch im Saal überwiegt bei Weitem der Jubel für ihren Auftritt - Golan sichert sich einen Platz im Finale, wird hoch gehandelt: „Es gibt so viele Menschen, die mich unterstützen“, sagt sie.
Israels Beitrag hatte von Anfang an, mit Gegenwind zu kämpfen. Vor dem Hintergrund des Gaza-Kriegs wurde in sozialen Netzwerken der Ausschluss vom Wettbewerb gefordert. Der Veranstalter des ESC, die europäische Rundfunkunion, ließ Israel mit der Begründung teilnehmen, dass es ja eine unpolitische Veranstaltung sei.
Zugleich hielt die EBU den ersten eingereichten Text des israelischen Beitrags für zu politisch. Sie sah in „October Rain“ Hinweise auf die von palästinensischen Terroristen am 7. Oktober in Israel verübten Massaker. Das Lied von Golan ist darauf überarbeitet worden, es heißt nun „Hurricane“. Die Bühnenshow weckt dennoch Erinnerungen: Eden trägt ein helles Kleid, das an Mullbinden erinnert. Ihre Tänzer sehen ähnlich aus. Ein subtiler Hinweis auf den Krieg, der ihr sehr nahe ist. Einer ihrer Mitbewerber bei Israels ESC-Vorentscheid, Shaul Greenglick, starb als Reservist der Armee im Krieg in Gaza: „Ich bekomme Gänsehaut, wenn ich über ihn rede“, sagte Golan der Illustrierten „Stern“.
Da sind aber auch die mehr als 30.000 Toten auf palästinensischer Seite. Kritiker setzen Israel mit Russland gleich. Der Ausschluss Russlands nach dem Einmarsch in die Ukraine sowie das Verbot palästinensischer Flaggen sei Politik, sagte Klimaaktivistin Greta Thunberg, die sich an einer Demonstration mit dem Motto „Schließt Israel von der Eurovision aus“ am Donnerstag in Malmö beteiligte. Auch am Samstag werde sie dabei sein, hieß es.
Israels Nationaler Sicherheitsrat sprach kurz vor dem ESC eine Reisewarnung aus. Das Risiko werde von 2 (potenzielle Bedrohung) auf 3 (mittlere Bedrohung) heraufgestuft. Israelis, die einen Besuch in Malmö planten, lege man nahe, dies noch einmal zu überdenken.
Wenige Stunden vor dem Finale machte dann die norwegische Punkte-Ansagerin einen Rückzieher. Die Sängerin Alessandra Mele begründete den Schritt in einem Video bei Instagram mit dem israelischen Vorgehen im Gazastreifen. „Derzeit findet ein Genozid statt“, sagte die 21-Jährige und rief dazu auf, sich von „Liebe zur Wahrheit“ führen zu lassen.
Das ESC-Motto „United by Music“ (Deutsch: Vereint durch Musik) stimme mit ihrer Motivation, Musik zu machen, überein, sagte Mele. „Aber derzeit sind diese Worte nur leere Worte.“ Die Sängerin, die auch italienische Wurzeln hat, hatte voriges Jahr „mit Queen of Kings“ für Norwegen den fünften Platz beim ESC erreicht. Für Mele sollte die Moderatorin Ingvild Helljesen vom Sender NRK einspringen.
In Malmö fand nach Informationen von NRK sowie des schwedischen Senders SVT ein Krisentreffen statt. Die Vertreter von Irland, der Schweiz und Griechenland waren zuvor nicht zur Flaggenparade erschienen. Bambie Thug aus Irland, der die Teilnahme der israelischen Sängerin Eden Golan wiederholt kritisiert hatte, verpasste auch die Probe am Samstag. Bei Instagram schrieb Bambie Thug, es habe eine „Situation“ gegeben, als die Künstler die Bühne zur Flaggenparade betreten wollten. Die Europäische Rundfunkunion (EBU) als ESC-Veranstalterin teilte Medienberichten zufolge mit, die Lage zu prüfen.
Das ist die Großwetterlage. Doch auch die Auswahl des Austragungsortes macht es den Veranstaltern nicht leicht. Malmö habe ein Problem mit Antisemitismus, sagen Experten. Im Oktober wurde dieses Problem noch einmal sichtbarer.
„Es gab diese Karawanen mit palästinensischen Fahnen, die schrien und jubelten. Karawanen von Autos fuhren durch die Stadt und feierten nach den Angriffen“, sagt Fredrik Sieradzki von der jüdischen Gemeinde in Malmö im dpa-Interview. Seit dem Geschehen im Oktober habe es zahlreiche Demonstrationen gegen Israel gegeben. „Die Intensität wird mit den Demonstrationen parallel zum Eurovision Song Contest noch zunehmen.“
Malmö ist eine kompakte Stadt. „Man kann das Problem also auf der Straße sehen, was man in Stockholm oder Göteborg nicht so sehr kann“, sagt Björn Westerström. Er ist Antisemitismus-Forscher, betreibt aktiv Aufklärungsarbeit. Malmö hat etwa 360.000 Einwohnerinnen und Einwohner, darunter viele mit palästinensischer Abstammung. Hier ist bekanntermaßen eine Anlaufstelle für Migration in Schweden. Es gibt eine große arabische Community.
Experte Westerström betont, dass die israelfeindliche und schnell dann auch judenfeindliche Stimmung nicht zwingend von bestimmten Gruppen ausgehe. Es seien Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen. „Sie sehen den Antisemitismus nicht. Sie sind so politisch geworden, sie sind so eingenommen, dass sie den Hass, den sie benutzen, nicht erkennen.“
Christer Mattsson, Professor für Antisemitismusforschung in Göteborg sagt, Malmö leiste schon länger Aufklärungsarbeit, habe in den letzten Jahren zahlreiche Gegenmaßnahmen ergriffen. „Antisemitismus ist aber nicht etwas, das innerhalb weniger Jahre gelöst wird.“ Malmö sei dieser Tage eine Art Brennpunkt der Welt.
Die Polizei ist seit Beginn des ESC mit einem Großaufgebot präsent. Auch Verstärkung aus Dänemark und Norwegen wurde angefordert. Eine öffentliche ESC-Party wurde abgesagt. „Ich weiß mit Sicherheit, dass die Stadt gut vorbereitet ist. Allerdings weiß man, dass es immer etwas Unerwartetes geben kann“, sagt Experte Mattsson.
Was nicht so recht aufkommen will, ist wohl die Vorfreude. „Ich glaube, dass viele Juden im Allgemeinen darauf warten, dass die Sache vorübergeht, und hoffen, dass es ohne größere Zwischenfälle abläuft“, sagt Sieradzki. „Der Eurovision Song Contest sollte ein Fest der Kreativität, des Spaßes, der großartigen Musik sein. Aber Malmö wird ein Ort sein, an dem eine Menge wütender Gefühle auf der Straße gezeigt werden.“
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