Es ist ein schwieriger Balanceakt: Die Bundesregierung will die wirtschaftliche Abhängigkeit von China verringern, sich aber nicht von der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt abkoppeln. Das ist der Kern der China-Strategie, den die Ampel-Koalition im vergangenen Sommer beschlossen hat. Was ist daraus geworden?
Diese Frage wird sich auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) stellen lassen müssen, wenn er an diesem Samstag zur zweiten China-Reise seiner Amtszeit aufbricht. Versucht die deutsche Wirtschaft wirklich, sich aus der chinesischen Abhängigkeit zu lösen? Oder läuft alles so weiter wie bisher?
Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine hat Deutschland schmerzhaft zu spüren bekommen, was eine zu große wirtschaftliche Abhängigkeit von nur einem Land bedeuten kann. Die Energieversorgung, die lange Zeit zum großen Teil auf billigem russischen Gas beruhte, musste innerhalb kurzer Zeit radikal umgestellt werden. Mit China soll sich so etwas nicht wiederholen, wenn es zum Beispiel zu einer Eskalation im Konflikt um Taiwan kommt. Es sei „dringend geboten“, die Risiken einer engen wirtschaftlichen Verflechtung zu verringern, heißt es in der China-Strategie. Die deutsche Wirtschaft solle sich „im Rahmen der bestehenden Risikomanagement-Prozesse konkret mit relevanten chinabezogenen Entwicklungen, Zahlen und Risiken auseinandersetzen“.
China ist zwar immer noch der wichtigste deutsche Handelspartner. Im vergangenen Jahr nahmen aber die Importe aus China um 19,2 Prozent ab und die Exporte verringerten sich um 8,8 Prozent. Mit einem Außenhandelsvolumen von 253,1 Milliarden Euro lag das „Reich der Mitte“ damit nur noch ganz knapp vor den USA (252,3 Milliarden Euro). Chinas Anteil an den gesamten deutschen Warenexporten ist seit 2020 von knapp 8 Prozent auf nur noch gut 6 Prozent zurückgegangen.
„Die Exportchancen sind auch mittelfristig gedämpft, vor allem weil China sich unabhängiger vom Ausland machen will und weil deutsche Firmen den dortigen Markt zunehmend mit Produktion vor Ort statt mit Exporten aus Deutschland bedienen wollen“, sagt Jürgen Matthes vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. „Ohnehin hängen nur etwa 3 Prozent der deutschen Arbeitsplätze direkt und indirekt von Export nach China ab. Dieser Anteil dürfte in Zukunft bestenfalls stagnieren.“
Bei den deutschen Direktinvestitionen sieht es anders aus. Sie sind im vergangenen Jahr laut Deutscher Bundesbank auf 11,9 Milliarden Euro gestiegen - ein neuer Höchststand. Der Anteil Chinas an allen ausländischen Direktinvestitionen der deutschen Wirtschaft hat erstmals seit 2014 wieder die 10-Prozent-Marke übertroffen und liegt jetzt bei 10,3 Prozent. In den Jahren 2018 bis 2020 waren es noch weniger als 3 Prozent.
Eine Bewegung in Richtung anderer asiatischer Länder ist laut IW noch nicht erkennbar. Der Anteil des übrigen Asiens an den gesamten Direktinvestitionen stagniere bei etwa 8 Prozent. Vor allem Großunternehmen machen wenig Anstalten, ihre China-Strategie zu ändern und verstärkt auf andere Absatzmärkte zu setzen - allen voran die Autobauer, für die China als Markt unersetzlich ist. VW und Mercedes verkaufen jeweils ein Drittel ihrer Autos dort.
Am gefährlichsten ist die Abhängigkeit von China bei bestimmten Rohstoffen. „China hat hier strategisch geplant und sich beim Abbau und vor allem bei der Weiterverarbeitung von Rohstoffen kurzfristig unentbehrlich gemacht“, sagt IW-Experte Matthes. Mit Subventionen und ohne viel Rücksicht auf die Umwelt habe es so billig angeboten, dass viele Konkurrenten auch in Europa aus dem Markt gedrängt wurden. „Wir haben das viel zu spät in seiner geopolitischen Brisanz erkannt.“
Ein Beispiel: Nach einer aktuellen Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte sind die deutschen Importe des für die Batterie-Produktion so wichtigen Lithiums aus China seit 2013 von einem auf 24 Prozent gestiegen. Der Anteil Chinas an den eingeführten Lithium-Akkus wuchs in diesem Zeitraum sogar von 27 auf 41 Prozent.
Bei Magnesium setzen deutsche Importeure sogar zu 90 Prozent auf chinesische Lieferanten, bei seltenen Erden zu 85 Prozent. Das Wirtschaftsministerium bemüht sich seit geraumer Zeit händeringend darum, andere Kooperationspartner zu finden und schickt dafür die Parlamentarische Staatssekretärin Franziska Brantner (Grüne) um die Welt, die Scholz auch nach China begleiten wird.
Mit Ländern wie Australien, Chile und Kanada werden nun Rohstoffpartnerschaften aufgebaut. Um Abhängigkeiten zu verringern, werde die Kooperation mit solchen Ländern und Regionen erweitert, die für die Bundesregierung als „Wertepartner“ gelten, so das Wirtschaftsministerium. „Hohe Umwelt- und Sozialstandards, verbunden mit dem Einsatz modernster Gewinnungs- und Aufarbeitungsverfahren, werden in vielen Partnerländern als Wettbewerbsvorteil angesehen.“ Die Erschließung neuer Versorgungsquellen werde aber lange dauern, sagt IW-Experte Matthes. „Und es wird eine Menge Geld kosten.“
Nach einer am Donnerstag veröffentlichten Umfrage des Ifo-Instituts sinkt zumindest bei den weiter gefassten Vorleistungen die Abhängigkeit bereits. Demnach sind derzeit 37 Prozent aller Industrieunternehmen in Deutschland auf wichtige Vorprodukte aus China angewiesen. Im Februar 2022 - vor Beginn des Krieges in der Ukraine - waren es noch 46 Prozent. Es gibt aber deutliche Unterschiede je nach Branche: So ist die für Deutschland wichtige Autoindustrie mit 59 Prozent noch deutlich stärker betroffen als der Durchschnitt.
Und was ist, wenn es so läuft wie mit Russland und es von heute auf morgen etwa wegen einer chinesischen Invasion in Taiwan zu einem Bruch mit China kommt? Eine internationale Forschergruppe hat das Ende vergangenen Jahres unter Federführung des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW) untersucht. Die Experten gingen in ihrem Szenario von einem Zerfall der Weltwirtschaft in zwei voneinander abgekoppelte Handelsblöcke aus: die EU, USA, Kanada und Japan auf der einen Seite, China und Russland mit ihren Verbündeten auf der anderen.
Das Ergebnis: Bei einem abrupten Bruch würde die deutsche Wirtschaftsleistung um fünf Prozent einbrechen und nach vier bis fünf Jahren würde sich der Wohlstandsverlust bei 1,5 Prozent pro Jahr einpendeln. Nach Ansicht der Forscher wäre aber selbst ein solches Szenario für die deutsche Wirtschaft verkraftbar. „Ein Bruch hätte hohe Kosten für Deutschland, dennoch besitzt unser Land gesamtwirtschaftlich genug Widerstandskraft, um selbst solch ein extremes Szenario zu überstehen“, lautete das Fazit von IfW-Präsident Moritz Schularick.
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