Die deutsche Cheftrainerin mühte sich nach Kräften, den Fehlstart bei der Leichtathletik-WM schönzureden und ihn auch als Zeitplan-Malaise darzustellen.
„Traditionell ist es so, dass wir immer bei Weltmeisterschaften wegen der Zeitplangestaltung schwer in die Wettbewerbe kommen“, erklärte Annett Stein vor dem „Museum of Natural and Cultural History“ in Eugene. Die Hoffnungsträger würden in WM-Hälfte zwei ihre Auftritte haben. „Ich erwarte noch eine sehr große Leistungssteigerung, auch Medaillen und Punkte“, sagte sie.
Bei der WM 2019 in Doha hatte Gesa Krause zumindest am vierten Tag Bronze im Hindernislauf gewonnen. In der Nacht zum Donnerstag - am sechsten Wettkampftag im US-Bundesstaat Oregon - ruhten die Hoffnungen auf den Diskuswerferinnen um die Olympia-Zweite Kristin Pudenz.
Erschreckender als zunächst ausgebliebenes Edelmetall ist, dass niemand von den ersten 36 angetretenen deutschen Athletinnen und Athleten einen für die staatliche Förderung wichtigen Top-Acht-Platz erreichte. Die Stabhochspringerin Jacqueline Otchere war als Zehnte die Beste; 24 Sportler schieden sogar in der ersten Runde aus. Insgesamt sind 80 Starts in Eugene geplant.
Für Stein klingt das nicht „wie ein Trauerspiel“, denn 28 der Gestarteten würden in der Weltrangliste nur einen Platz oberhalb des 20. Ranges belegen: „Da ist es nicht einfach, an den ersten Tagen zu punkten oder eine Medaille zu gewinnen.“ 48 anderen Nationen war das bis zu diesem Zeitpunkt mit mindestens einem Sportler gelungen. Dass neben den enttäuschenden Platzierungen zudem nur zwei persönliche und sechs Saisonbestleistungen erbracht wurden, ist nicht glanzvoll.
Da ein Kriterium für die Höhe der Unterstützung durch den Bund auch die Anzahl der Teilnehmer ist, die zu WM und Olympischen Spielen geschickt werden können, ist die Furcht vor einem finanziellen Einbruch beim Deutschen Leichtathletik-Verband offenbar nicht so groß. Quantität statt Qualität ist aber keine Formel zum Erfolg.
„Wir haben auch junge Athleten, die nicht gleich auf den ersten Höhepunkt performen können“, nannte Stein als einen Grund für die Großzügigkeit bei der WM-Nominierung. Abgesehen von den Platzierungen sei eine WM wie in Eugene, wo der historische Campus der Universität Oregon der Mittelpunkt ist, zudem auch ein Erlebnis - und eine Belohnung für Athleten, „die lieben, was sie tun“.
Eine weitere Begründung für die triste Zwischenbilanz ist, dass drei Wochen nach der WM die Heim-EM in München die Sportler emotional mehr interessiert. „Ich glaube nicht, dass jemand hierher gefahren ist, um eine schlechte Leistung abzuliefern, aber die Leute sind auch realistisch“, sagte Stein. „Wenn ich als 25. der Weltrangliste anreise, gebe ich mein Bestes. Ich weiß aber, dass ich eine zweite Chance habe.“
Der DLV habe die Herausforderung von zwei Titelkämpfen binnen kurzer Zeit „gut anmoderiert“ und vorbereitet. „Aber wahrscheinlich ist es nicht gelungen, die WM in den Fokus der meisten Athleten zu setzen, weil die EM doch sehr präsent ist“, meinte Stein. Die Emotionalität, ab dem 15. August die EM im eigenen Land zu erleben, sei sehr hoch. Dennoch hofft sie noch auf eine Wende zum Guten in der zweiten WM-Halbzeit. „Trotz alledem warten die Leistungsstärksten noch auf ihre Einsätze“, sagte sie. „Wir haben noch Asse im Ärmel.“
Bei der WM 2019 hatte der DLV sechs Medaillen gewonnen, darunter zwei aus Gold durch Weitspringerin Malaika Mihambo und Niklas Kaul im Zehnkampf. Sie gehören ebenso zu den Hoffnungsträgern wie Speerwerfer Julian Weber, Stabhochspringer Bo Kanda Lita Baehre oder Geher Christopher Linke, der bei der WM-Premiere über die neue Distanz von 35 Kilometern vorne mitmischen könnte.
Zahlreiche prominente Athleten wie die Speerwerfer Johannes Vetter und Christin Hussong, der Olympia-Zweite im Gehen, Jonathan Hilbert, sowie Siebenkämpferin Carolin Schäfer hatten ihren Start in den USA abgesagt. „Diese Ausfälle können wir nicht kompensieren“, sagte Stein. Bei den Tokio-Spielen 2021 waren es anders als Hilbert gerade aber Vetter und Hussong, die den Erwartungen nicht gerecht wurden. Die Olympia-Bilanz war am Ende mit drei Medaillen eine Enttäuschung.
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