Ein Jurist, eine Ärztin, ein IT-Spezialist, aber auch eine selbst ernannte Astrologin: Acht mutmaßliche Mitglieder der „Reichsbürger“-Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß müssen sich vor dem Münchner Oberlandesgericht verantworten.
Das ist die Gruppe, die nach einer großangelegten Anti-Terror-Razzia in mehreren Bundesländern und im Ausland Ende 2022 bekanntgeworden war. Die aktuell 26 Beschuldigten sollen einen gewaltsamen Umsturz der Bundesregierung geplant und dabei bewusst Tote in Kauf genommen haben. Als Oberhaupt einer neuen Staatsform hätte Reuß fungieren sollen.
Die Bundesanwaltschaft wirft den acht Angeklagten in München die Gründung beziehungsweise Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und die Vorbereitung eines sogenannten hochverräterischen Unternehmens vor. Vier Männer müssen sich zudem wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat verantworten, einer wegen Verstößen gegen das Waffengesetz.
Es ist nach Stuttgart und Frankfurt der bundesweit dritte Terrorprozess gegen die „Reichsbürger“-Gruppe um Reuß. In Frankfurt stehen Reuß und die mutmaßlichen Rädelsführer vor Gericht. In Stuttgart hat die Bundesanwaltschaft mutmaßliche Mitglieder des „militärischen Arms“ angeklagt.
Aber auch mehrere der in München Angeklagten sollen dem „Rat“ der Vereinigung angehört haben - ähnlich einem Kabinett einer rechtmäßigen Regierung - oder dem Führungsstab des „militärischen Arms“. Mehrere Beschuldigte sollen in die Planungen für den Angriff auf den Bundestag eingebunden gewesen sein oder sollten daran teilnehmen.
Die Angeklagten in München, die wirken wie durchschnittliche Normalbürger, verdeckten ihre Gesichter zu Prozessbeginn nur teilweise vor den Kameras der Presse mit einem Ordner oder einer Zeitung. Anderen waren die Journalisten offenbar gleichgültig. Der Verlesung der Anklage - die erst beginnen konnte, nachdem Beamte einen Störer nach lauten Zwischenrufen von der Zuschauertribüne brachten - folgten die Angeklagten allesamt weitgehend regungslos, maximal mit einem leichten Kopfschütteln zwischendurch.
Minutiös hat die Bundesanwaltschaft aufgelistet, was sie den Angeklagten persönlich und im Zusammenspiel mit den Angeklagten in den anderen Verfahren vorwirft. Es entsteht ein zugleich skurriles wie erschreckendes Bild der Männer und Frauen: Waren es Spinner und Verschwörungstheoretiker - oder gefährliche Hochverräter, Terroristen, Putschisten?
Bei Thomas T. zum Beispiel soll Ende Juli 2021 die Gründungsversammlung der Gruppe stattgefunden haben. Auch Ruth L. soll zu den Gründungsmitgliedern gehört und später immer wieder neue Mitglieder rekrutiert haben, etwa die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann.
Laut Anklage übernahmen T. und L., die ihren Beruf zu Prozessbeginn als „Astrologin, aber eigentlich Rentnerin“ angab, im „Rat“ die Leitung des Ressorts „Transkommunikation“. Dieses Ressort war demnach für die spirituelle Überprüfung neuer Ratsmitglieder und die persönliche Beratung von Prinz Reuß zuständig.
Ein Angeklagter soll innerhalb des „militärischen Arms“ für die Waffenbeschaffung zuständig gewesen sein und Mitglieder für den geplanten Angriff auf den Bundestag ausgerüstet haben. Ein anderer übernahm im militärischen Führungsstab nach Erkenntnissen der Bundesanwaltschaft die Leitung des Organisationsbereichs „Menschenwesen“: Dieser habe nach einem Umsturz unter anderem die Militärgerichtsbarkeit übernehmen und Straftaten aburteilen sollen, auch unter Anwendung der Todesstrafe.
Der Jurist G. soll im „Rat“ für das Ressort Äußeres auserkoren gewesen sein, die Ärztin R. für den Bereich Gesundheit. Auffällig: Corona war von Beginn an ein beherrschendes Thema. Beispielsweise soll R. immer wieder zum Thema Nebenwirkungen von Corona-Impfungen referiert haben, so die Anklage.
Das Oberlandesgericht München hat für die Hauptverhandlung zunächst 55 Termine bestimmt, aktuell bis Ende Januar 2025. Eine Verlängerung ist möglich.
Die Verteidiger Vorwürfe gegen die Bundesanwaltschaft erhoben. Rechtsanwalt Wolfgang Heer warf den Anklägern vor, für seinen Mandanten entlastende Erkenntnisse bei der Erstellung der Anklageschrift außen vor gelassen zu haben - unter anderem die Mitschrift eines abgehörten Telefonats, in dem sich sein Mandant von Gewalt-Überlegungen klar distanziert habe. Eine andere Verteidigerin stellte die Frage, ob sich die Behörden von Fantastereien Einzelner möglicherweise hätten in die Irre führen lassen. Nichts stehe fest, die Anklageschrift sei nur eine Hypothese.
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