„Grüne Hauptstadt Europas“ - für Valencia schien dieses Prädikat, das die EU-Kommission seit 2010 alljährlich an eine Stadt in einer Vorreiterrolle vergibt, längst überfällig. Nach Tallin im Vorjahr sowie Lahti und Grenoble in den Jahren 2021 und 2022 ist 2024 Spaniens drittgrößte Metropole an der Reihe.
Antonio García, Valencias Generaldirektor in Sachen Grüne Hauptstadt, blättert zurück: Vor einigen Jahrzehnte verwandelten die Stadtplaner das trockengelegte Flussbett des Turia über eine Länge von neun Kilometern in einen der schönsten spanischen Parks - und nicht, wie anderweitig angedacht, in eine Autobahn.
„Das war der Startpunkt für Nachhaltigkeit“, sagt García, obgleich die Wortschöpfung im heutigen Sinn damals unbekannt war. Für García steht der Titel der Grünen Hauptstadt „als Lohn für die Vergangenheit und Ansporn für die Zukunft.“
Beim Naturpotenzial bringt Valencia über den Turia-Park hinaus beste Voraussetzungen mit: das Mittelmeer mit den Sandweiten des Strands El Cabanyal, die Obst- und Gemüsefelder des historischen Anbaugebiets „Huerta“ vor den Toren der Stadt und südlich der Naturpark Albufera mit einem riesigen Süßwassersee, der nur durch eine Sanddüne vom Mittelmeer getrennt ist.
Bei einer Bootstour schippert man durch eine Szenerie aus Sümpfen, Kanälen, Reisfeldern. Zudem ist der See ein Vogelparadies, über 300 Arten sind dokumentiert. Unterwegs deutet Kapitän Jaume Dasi auf eine Kolonie von Ibissen. Nur die Flamingos sind heute ausgeflogen.
Dasi ist froh, dass es bald eine Neuerung gibt, die ins grüne Hauptstadtjahr passt, aber damit nichts zu tun hat. Bei den Booten werden die Diesel- endlich durch Elektromotoren ersetzt. „Das ist auch für mich besser wegen des Lärms“, sagt der 40-Jährige.
Apropos Lärm und bessere Luft: In Valencias Altstadt sind in jüngster Vergangenheit drei Hauptplätze in Fußgängerzonen verwandelt worden. Dort, wo vormals Sightseeing-Busse selbst nahe der Kathedrale vorbei dröhnten, atmet man nun auf.
Folgt man einem Bericht der spanischen Digitalzeitung „El Confidencial“, waren „vier von fünf Anwohnern“ der Zone mit den Maßnahmen der Verkehrsberuhigung einverstanden, basierend auf 2358 Präsenzgesprächen mit Vertretern des Rathauses. Neue Grünakzente setzen Palmen, Olivenbäume und Pflanzenkübel - selbst wenn ein Hund mal das Bein daran hebt.
Dennoch bleibt die Schwierigkeit bestehen, eine 840.000-Einwohner-Stadt mit breiten, verkehrsreichen Straßen und einer nervigen Rushhour in der Gesamtheit als klimafreundlich darzustellen. Dieser Spagat geht nicht auf, auch wenn Antonio García anführt, dass das Radwegenetz in und um die Stadt auf mittlerweile 190 Kilometer angewachsen sei, und unterstreicht: „Die Nutzung von Rädern ist in der DNA der Valencianer angekommen.“
Trotzdem lassen sich mit Rädern oder öffentlichen Verkehrsmitteln nicht alle Einkäufe erledigen. Überdies sind aus spanischer Sicht die Preise auf dem unter Touristen beliebten Zentralmarkt happig. Das erschwert, lokale Produzenten und das „Null-Kilometer-Konzept“ mit minimalen Transportwegen und geringer Umweltbelastung zu unterstützen.
Frisch aus der „Huerta“ klingt schön und gut. Aber warum kostet ein Kilo Tomaten fünf Euro und ein Kilo Mandarinen bis zu 3,30 Euro? Da greifen manche Käufer lieber in Supermärkten zu Billigimporten.
Die Ungereimtheiten setzen sich im März fort, wenn Valencia seine „Fallas“ feiert. Von Lärm und Luftreinheit, wichtigen Indikatoren einer grünen Hauptstadt, war schon die Rede. Doch die „Fallas“ zählen zu den lautesten und kontaminationsreichsten Volksfesten Spaniens.
Unter Knallkörpern entlädt sich allerorten die Freude. Und in der „Nacht des Feuers“ vom 19. auf den 20. März gehen hunderte Figuren und Ensembles aus Holz und Pappmaché in Rauch und Flammen auf und begrüßen symbolisch das Frühjahr. Eine überflüssigere Umweltbelastung geht kaum, doch Tradition ist Tradition. Darauf will selbst in der „Grünen Hauptstadt Europas“ niemand verzichten.
Wer ungetrübte Luft liebt, kommt besser vor oder nach den „Fallas“. Ideales Fortbewegungsmittel ist das Rad. Da strampelt man ans Meer und bis zur Marina, durch die fruchtbare „Huerta“ oder das alte Bett des Turia, einen der längsten Flussparks Europas.
Palmen und Kiefern säumen die Strecke, Oleander, Orangenbäume, Bougainvillea, dazu die Wassergärten der „Stadt der Künste und Wissenschaften“, einem Monumentalwerk von Stararchitekt Santiago Calatrava. Eindrücke und Farben explodieren - und das in aller Stille.
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