Mit Tränen in den Augen und unter stehenden Ovationen hat sich der langjährige Vorsitzende der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), Claus Weselsky, von den Mitgliedern und seiner Organisation verabschiedet. 16 Jahre als Bundesvorsitzender, 234 Arbeitskämpfe und 12.012 Streikstunden - so hat es die GDL nachgezählt - liegen hinter Weselsky. Fahrgäste kostete er damit oft Nerven. Nun, mit 65 Jahren, geht er in den Ruhestand.
Ob die Reisenden künftig auf weniger Eskalation bei Bahn-Tarifrunden hoffen dürfen, hängt auch vom neuen Bundesvorstand der GDL ab, der auf der Generalversammlung in Dresden gewählt wurde. Angeführt wird er von Mario Reiß, für den fast 95 Prozent der Delegierten stimmten. Ergänzt wird er durch die beiden Stellvertreter Lars Jedinat und Christian Deckert.
Einer One-Man-Show, der die GDL unter Weselsky oft glich, erteilte Reiß nach der Generalversammlung eine Absage. „Das ist ein neues Bild dieser GDL: Wir wollen uns in der Zukunft als Team bewegen“, betonte er. Das sei auch schon unter Weselsky der Fall gewesen. Doch solle die Teamstruktur künftig stärker in der Öffentlichkeit erkennbar werden.
Zudem werde die GDL politischer und werde sich bei bahnpolitischen Themen stärker als bisher einmischen. „Die GDL wird sich in dieses Geschäft Bahnentwicklung weiter und laut melden“, sagte Reiß. Auch einen etwas ruhigeren Ton wolle er künftig anschlagen, betonte er und spielte damit auf Weselskys legendäre Schimpftiraden an.
Doch versöhnlicher gab sich die GDL bei ihrer Versammlung nicht. Zum einen, weil Weselskys Abschied kein vollständiger ist. Er bleibt der Gewerkschaft als Ehrenvorsitzender verbunden - und hat bereits angekündigt, sich auch zu kommenden Tarifrunden mit der Deutschen Bahn in gewohnter Manier zu äußern. Zudem habe Weselsky seinem Nachfolger versprochen, „uns in jeder Situation zur Verfügung zu stehen, beratend natürlich“, sagte Mario Reiß.
Der neue Chef machte bei seinen Reden vor den Delegierten außerdem deutlich, dass die GDL bei ihr wichtigen Themen auf Konfrontationskurs bleibt: „In einem Betrieb, wo ein Arbeitgeber uns offensiv angreift und willkürlich das Tarifeinheitsgesetz anwendet, kann eine echte Sozialpartnerschaft nicht gedeihen“, sagte Reiß in Richtung des ebenfalls anwesenden Bahn-Personalvorstands, Martin Seiler.
Das Tarifeinheitsgesetz (TEG) regelt, dass in einem Betrieb mit zwei konkurrierenden Gewerkschaften nur die Tarifverträge der mitgliederstärkeren Arbeitnehmervertretung angewendet werden. Bei der Bahn ist das in den meisten Betrieben die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG).
Das Gesetz ist nicht nur aus Weselskys Sicht der Hauptgrund dafür, dass das Verhältnis zwischen seiner GDL, der EVG und der Deutschen Bahn weitgehend zerrüttet ist. „Dieses Gesetz spaltet die Belegschaft und bringt Unfrieden in die Betriebe“, erklärte der stellvertretende Bundesvorsitzende des Deutschen Beamtenbunds (dbb), Volker Geyer, bei der Generalversammlung der GDL. „Dieses Gesetz ist kein Tarifeinheitsgesetz, sondern ein Tarifspaltungsgesetz.“
Weselsky hat einen Großteil seiner 16-jährigen Amtszeit dem Kampf gegen das TEG verschrieben. Unterschwellig beeinflusste das Thema viele seiner Tarifrunden mit der Bahn. Dabei nahm der gebürtige Dresdner nie ein Blatt vor den Mund und verstand es, auch persönlich gegen das Management der Deutschen Bahn oder unliebsame Politiker auszuteilen.
Während er innerhalb der Gewerkschaft unumstritten war, führten seine Arbeitskämpfe und die langwierigen Tarifrunden bei der Bahn bei vielen Fahrgästen zu Wut und Frust. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer erzählte auf der Generalversammlung, er habe oft Lacher mit dem Spruch gesammelt, dass Weselsky den Titel „unbeliebtester Sachse in ganz Deutschland“ inzwischen von Walter Ulbricht übernommen habe. Er wolle sich für diesen Spruch auf Weselskys Kosten bei diesem entschuldigen. „Aber er kam gut an.“
Ähnliche Beliebtheitsvergleiche mit früheren DDR-Staatsoberhäuptern wird der neue GDL-Bundesvorstand wohl vermeiden wollen.
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