Die Pläne für ein vollständiges europäisches Öl-Embargo gegen Russland sind wegen einer Blockade aus Ungarn vorerst vom Tisch.
Bei einem Gipfeltreffen in Brüssel zeichnete sich am Montagabend ab, dass die 27 EU-Staaten - wenn überhaupt - nur ein eingeschränktes Verbot von russischen Öl-Importen beschließen. Demnach würden nur Lieferungen über den Seeweg unterbunden. Der Bezug per Pipeline wäre hingegen weiter möglich. Ungarn könnte sich somit weiterhin auf dem Landweg über die riesige Druschba-Leitung versorgen.
Diesen Kompromiss schlug die EU-Kommission unter ihrer Präsidentin Ursula von der Leyen angesichts der bisherigen Blockade aus Budapest kurz vor dem Gipfel vor. Ungarns rechtsnationaler Regierungschef Viktor Orban begrüßte dies, stellte aber neue Forderungen. Wegen des seit mehr als drei Monate dauernden Angriffskriegs auf die Ukraine hat die EU Russland bereits mit massiven Sanktionen belegt. Die Europäer sind darum bemüht, gegenüber Moskau geschlossen aufzutreten.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj äußerte Unverständnis über das zögerliche Vorgehen der EU beim neuen Sanktionspaket. „Warum kann Russland mit dem Verkauf von Energie immer noch fast eine Milliarde Euro pro Tag verdienen?“, fragte Selenskyj, der per Video zugeschaltet war.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte zu den jüngsten Entwicklungen: „Alles, was ich höre, klingt danach, als ob es einen Konsens geben könnte. Er machte zugleich deutlich, dass Deutschland ebenso wie Polen nicht von der Ausnahme für Pipeline-Öl profitieren will. Auch EU-Ratspräsident Charles Michel und andere Gipfelteilnehmer zeigten sich optimistisch, dass nach wochenlangem Streit ein Kompromiss gelingt. Nach Angaben des niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte würde das Embargo trotz der Ausnahmeregelung dazu beitragen, die russischen Ölverkäufe in die EU um rund 90 Prozent zu reduzieren.
Ungarns Regierungschef Orban bezeichnete den Kompromissvorschlag als guten Ansatz - stellte zugleich jedoch erneut Forderungen. Er verlangte Garantien, falls etwa wegen eines Unfalls kein Pipeline-Öl mehr in sein Land geliefert werden könne. Dann müsse Ungarn das Recht haben, Öl auch über den Seeweg zu beziehen. Außerdem forderte Ungarn Finanzzusagen für den Umbau seiner Öl-Infrastruktur. Die Kosten für die Umstellung von Raffinerieanlagen auf nicht-russisches Öl bezifferte die Regierung in Budapest auf bis zu 550 Millionen Euro. Zudem müssten 200 Millionen investiert werden, um das Land künftig über eine Pipeline zu versorgen, die an der Adriaküste beginnt.
Neben Ungarn könnten auch die Slowakei und Tschechien von der Ausnahme profitieren. Neben Deutschland und Polen sind dies die anderen beiden EU-Länder, die noch an der Druschba-Leitung hängen. Der ursprüngliche Vorschlag der Kommission sah vor, wegen des Ukraine-Kriegs den Import von russischem Rohöl in sechs Monaten und den von Ölprodukten in acht Monaten komplett zu beenden. Lediglich Ungarn und die Slowakei sollten 20 Monate Zeit bekommen.
Insbesondere Staats- und Regierungschefs aus östlichen EU-Staaten riefen beim Gipfel dazu auf, möglichst schnell eine endgültige Einigung zu erzielen. Sie verwiesen auf die Bedeutung der Sanktionen für die Ukraine. „So lange die Ukraine diesen Krieg nicht gewonnen hat, haben wir nicht genug getan“, mahnte Estlands Regierungschefin Kaja Kallas. Lettlands Ministerpräsident Krisjanis Karins sagte, es gehe darum, die russische Wirtschaft zu isolieren und es für Russland noch schwieriger zu machen, seine Kriegsmaschine zu finanzieren.
Relevant ist die Einigung zum Öl-Embargo auch deswegen, weil es Teil eines ganzen Sanktionspaketes ist, das wegen der Blockade Ungarn ebenfalls seit Wochen in der Warteschleife hängt. Es sieht neben dem Öl-Embargo auch vor, die größte russische Bank, die Sberbank, aus dem Finanzkommunikationsnetzwerk Swift auszuschließen. Zudem sollen Russlands staatlicher Fernseh-Nachrichtensender Russia 24 (Rossija 24) sowie die ebenfalls staatlichen Sender RTR Planeta und TV Centre in der EU verboten werden.
Thema bei dem bis zu diesem Dienstag dauernden EU-Gipfel sind auch Maßnahmen gegen die sehr hohen Energiepreise, die weitere Unterstützung für die Ukraine sowie die Zusammenarbeit der EU im Bereich der Sicherheit und Verteidigung. EU-Ratspräsident Michel teilte nach der Rede Selenskyjs mit, die EU werde die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine weiter stärken und beim Wiederaufbau helfen. Zudem stellte der Belgier neue Finanzmittel in Aussicht, um die Zahlungsfähigkeit des Landes aufrecht zu erhalten.
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