Die EU kann nach jahrelangen Verhandlungen eine große Asylreform in Angriff nehmen. Eine am Mittwoch in Brüssel erzielte Einigung sieht zahlreiche Verschärfungen der bisherigen Regeln vor. „Damit begrenzen wir die irreguläre Migration und entlasten die Staaten, die besonders stark betroffen sind - auch Deutschland“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Menschenrechtsorganisationen übten hingegen scharfe Kritik.
Konkret sieht die Verständigung zwischen EU-Staaten und Europaparlament beispielsweise einheitliche Verfahren an den europäischen Außengrenzen vor. Geplant ist insbesondere ein deutlich härterer Umgang mit Menschen aus Ländern, die als relativ sicher gelten. Bis zur Entscheidung über den Asylantrag sollen die Menschen bis zu zwölf Wochen unter haftähnlichen Bedingungen in Auffanglagern untergebracht werden können. Personen die aus einem Land mit einer Anerkennungsquote von unter 20 Prozent kommen sowie Menschen, die als Gefahr für die öffentliche Sicherheit gelten, müssen künftig verpflichtend in ein solches Grenzverfahren.
An der Reform wurde seit der Flüchtlingskrise 2015/2016 gearbeitet. Damals waren Länder wie Griechenland mit der immensen Zahl an Menschen aus Ländern wie Syrien überfordert und Hunderttausende konnten unregistriert in andere EU-Staaten weiterziehen.
Die Verteilung der Schutzsuchenden auf die EU-Staaten wird den Plänen zufolge mit einem „Solidaritätsmechanismus“ neu geregelt: Wenn die Länder keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, müssen sie Unterstützung leisten, etwa in Form von Geldzahlungen. Das war besonders in den Verhandlungen der EU-Staaten untereinander lange ein Zankapfel, da Länder wie Ungarn eine Solidaritätspflicht ablehnten. Die EU-Staaten konnten sich allerdings im Juni auch ohne die Zustimmung Ungarns auf eine gemeinsame Position einigen.
Kritik an den Plänen gibt es unter anderem, weil auch unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und Familien mit Kindern in die streng kontrollierten Auffanglager kommen könnten. Die Bundesregierung und das Europaparlament hatten versucht, dies zu verhindern, scheiterten in den Schlussverhandlungen allerdings am Widerstand von Ländern wie Italien.
Die Grüne Jugend forderte deswegen: „Die deutsche Zustimmung zu dieser Reform, die eine massive Entrechtung von Geflüchteten bedeutet, muss sofort zurückgenommen werden.“ Außenministerin Annalena Baerbock schloss dies jedoch indirekt aus. Die grüne Spitzenpolitikerin bezeichnete die Einigung auf die Reform als „dringend notwendig und längst überfällig“. Das Europaparlament und die EU-Staaten müssen dem Deal noch endgültig zustimmen. Das gilt normalerweise als Formsache.
Neben dem Kinder- und Jugendschutz sorgte die geplante Krisenverordnung für Kritik. Darüber soll künftig etwa bei einem besonders starken Anstieg der Migration von Standard-Asylverfahren abgewichen werden können. Zum Beispiel kann der Zeitraum verlängert werden, in dem Menschen unter haftähnlichen Bedingungen festgehalten werden können. Zudem könnte der Kreis der Menschen vergrößert werden, der für die geplanten strengen Grenzverfahren infrage kommt. Wegen Bedenken der Bundesregierung hinsichtlich menschenrechtlicher Standards ging bei diesem Teil der Reform lange nichts voran.
„Es ist offensichtlich, dass es bei den Verhandlungen vorrangig darum ging, die Außengrenzen noch fester zu verschließen und nicht darum, Menschen besser zu schützen“, kritisierte die Organisation Save the Children.
Für Kritik sorgte auch, dass abgelehnte Asylbewerber künftig leichter in sichere Drittstaaten abgeschoben werden können. Denn mit der Einigung können jetzt mehr Drittstaaten als sicher eingestuft werden, dies gilt auch für bloße Teilgebiete von Staaten. Grundlage dafür können auch nationale Einschätzungen sein. Durch die Erweiterung seien „neue menschenrechtswidrige Deals mit autokratischen Regierungen“ zu erwarten, kritisierte Pro Asyl.
Außerdem einigten sich die Ampel-Fraktionen auf einen Kompromiss zu zwei Gesetzentwürfen für schnellere Einbürgerungen und erleichterte Abschiebungen. Die beiden Vorhaben waren in der letzten Sitzungswoche vor Weihnachten nicht wie ursprünglich geplant zur abschließenden Beratung und Abstimmung auf die Tagesordnung des Bundestags gesetzt worden, weil vor allem die Grünen noch Nachbesserungen wollten, die von der FDP abgelehnt wurden.
Zuwanderer sollen dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zufolge künftig nach fünf Jahren Aufenthalt in Deutschland Staatsbürger werden können, vorausgesetzt sie können ihren Lebensunterhalt ohne staatliche Hilfe bestreiten. Bisher müssen sie mindestens acht Jahre im Land leben. Bei guten Leistungen in Schule oder Job, guten Sprachkenntnissen oder ehrenamtlichem Engagement soll die Einbürgerung schon nach drei Jahren möglich sein. Wer einen deutschen Pass haben möchte, soll den alten dafür nicht mehr aufgeben müssen. Das gilt jetzt schon für EU-Bürger und einige Sonderfälle, aber beispielsweise nicht für Menschen aus der Türkei.
Mit Verfahrensvereinfachungen will die Ampel außerdem dafür sorgen, dass Abschiebungen nicht mehr so oft im letzten Moment scheitern, etwa weil die Betroffenen nicht auffindbar sind. Die Höchstdauer des Ausreisegewahrsams soll dafür von bislang 10 auf 28 Tage verlängert werden.
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