Die vermeintlich schwierigste Aufgabe erwartete Skirennfahrer Alexander Schmid erst nach seiner perfekten Fahrt zur Goldmedaille. Nur mit Mühe hielt sich der neue Weltmeister im Parallelwettbewerb auf den Beinen, als ihm sein frenetisch feiernder Teamkollege Linus Straßer in die Arme sprang.
Unter dem Jubel der gesamten deutschen Mannschaft riss Schmid nach dem größten Erfolg seiner Karriere die Arme in die Luft. In seinen Augen spiegelten sich die französischen Berge, in seinem Gesicht der Stolz über die erste Einzel-Goldmedaille für die deutschen Herren bei einer alpinen Ski-WM seit Hansjörg Tauschers Triumph in der Abfahrt von Vail 1989.
Immer wieder blickte Schmid voller Verwunderung in den strahlend blauen Himmel über Méribel. Auf die Glückwünsche der gesamten Ski-Szene reagierte der 28-Jährige auch 30 Minuten nach dem Rennen noch mit Kopfschütteln. „Ich bin unheimlich stolz und überglücklich. Das ist so ein verrückter Tag“, sagte Schmid in seiner gewohnt zurückhaltenden Art. Der Technik-Spezialist ist kein Mann der großen Worte, erst recht keiner, der für überschwänglichen Jubel steht.
Dafür feierten die Teamkollegen Straßer und Lena Dürr, die im Achtel- beziehungsweise im Viertelfinale gescheitert waren, umso mehr. „Linus und ich waren noch nervöser, als wenn wir selbst am Start stehen würden“, sagte Dürr, nachdem sie von Schmid unzählige Bilder fürs deutsche WM-Album geknipst hatte. Der ehemalige Skirennfahrer Felix Neureuther sprach von einer „erstaunlichen Perfektion“ in Schmids Vorstellung.
Mit Komplimenten kann der eher schüchterne Schmid nicht besonders gut umgehen. Gegen die Lobeshymnen, die am Mittwoch im Sekundentakt auf den Allgäuer einprasselten, war er machtlos. „Alex ist für mich einer der genialsten Riesenslalom-Fahrer im Weltcup. Heute hat er mal richtig gezeigt, wo sein Niveau ist“, rühmte Bundestrainer Christian Schwaiger seinen Schützling.
Schmids Niveau war von Wettkampfbeginn an überragend. „Der holt eine Medaille“, wusste Straßer schon nach der ersten Runde. Mit einer beeindruckenden Leichtigkeit schlängelte sich Schmid im Parallelrennen zwischen den Stangen hindurch, bezwang erst den Italiener Filippo Della Vite, dann den Slowenen Zan Kranjec sowie Timon Haugan aus Norwegen. Im Gold-Kampf mit dem Österreicher Dominik Raschner war es fast ein Klassenunterschied.
Schmid kann Skifahren - das wussten die Konkurrenz und die Verantwortlichen im Deutschen Skiverband (DSV) schon lange. Nur Schmid, der in der Vergangenheit auch mit dem Epstein-Barr-Virus zu kämpfen hatte, schien von der eigenen Leistung nicht immer vollkommen überzeugt. „Er hat teilweise nicht das Selbstvertrauen, dass er sich auch selber gut einschätzt“, befand Bundestrainer Schwaiger. Spätestens jetzt sollte Schmid es haben. Nach WM-Bronze und Olympia-Silber im Team funkelte es diesmal golden um seinen Hals. Und er alleine ist dafür verantwortlich. Bei der WM in Cortina d'Ampezzo 2021 hatte er im Parallelrennen noch den undankbaren vierten Platz belegt.
Und was bedeutet Schmids Erfolg nach zuvor ernüchternden WM-Tagen in Frankreich, in denen die Speed-Riege leer ausgegangen war, nun für das deutsche Team? „Jetzt ist zumindest mal der Druck weg. Man kann sich vorstellen, was das für alle, die hier mitarbeiten, für eine extreme Erlösung ist“, sagte Alpindirektor Wolfgang Maier.
Für Schmid ist alles, was jetzt noch kommt, Zugabe. Einfach nur genießen. Der Druck ist weg. Keine wirklich schlechten Vorzeichen für seine Paradedisziplin Riesenslalom. „Er hat sicher mega Selbstvertrauen jetzt“, mutmaßte Schwaiger. Im Riesentorlauf am Freitag kann Schmid sein WM-Märchen in Frankreich um ein Kapitel erweitern. Auch Straßer dürfte dann wieder an der Bande stehen - und auf den nächsten Sprung in Schmids Arme vorbereitet sein.
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