„Ein anderer Fußball ist möglich“ - diesen Satz trägt Bundesligist FC St. Pauli stets vor sich her. Jetzt will der Aufsteiger vom Hamburger Kiez mit seinem geplanten Genossenschaftsmodell beweisen: Auch eine andere Finanzierung des Milliardenspiels Profifußball ist möglich. Ohne mächtige Investoren und Oligarchen. Stattdessen mit vielen Fans und Club-Mitgliedern als eigentliche Macht.
Interesse hat der Verein mit seinem Vorhaben in jedem Fall geweckt. Nicht nur im Biotop St. Pauli oder in Deutschland. Auch die „New York Times“ berichtete über das im deutschen Profifußball bislang einmalige Projekt.
Ebenso beschäftigen sich Wirtschaftsexperten mit den Plänen des FC St. Pauli. Und sie sehen Chancen, dass das Modell funktionieren kann. „Warum sollte das nicht klappen?“, fragte Stefan Ludwig, Partner und Leiter Sports Business Group bei der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungs-Gesellschaft Deloitte. „Wir haben schon für Clubs im Profifußball-Bereich ein solches Modell geprüft“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Es gebe nicht viele Gründe, die grundsätzlich dagegen sprechen, meinte er weiter, mahnte aber zugleich: „Es bestehen aber besondere Herausforderungen.“
Genossenschaften sind nicht neu. Vor etwa 160 Jahren wurde die erste gegründet. Heute ist diese Gesellschaftsform im Energiesektor, beim Wohnen, Kreditwesen, der Landwirtschaft und in anderen Bereichen üblich. Diese Art der Finanzierung gilt als krisensicher und demokratisch.
Im Profifußball ist dieses Modell bislang einmalig. Der FC St. Pauli möchte sich damit entschulden. Damit kann er finanziell wieder flexibler werden, muss Kredite nicht mehr tilgen und bessere Bedingungen bei Banken bekommen.
„So wollen wir die Darlehen für das Stadion vorzeitig tilgen. Dies hat ein Volumen von rund 15 Millionen Euro. Die weiteren Gelder wollen wir verwenden, um die Corona-Darlehen zurückzuzahlen“, hatte der kaufmännische Geschäftsleiter Wilken Engelbracht dem „Hamburger Abendblatt“ Ende September gesagt.
Im Verein stehen einige Projekte auf der Zukunfts-Agenda: das Stadion modernisieren, ebenso das Nachwuchsleistungszentrum und die Erweiterung der Trainingsanlage.
Los geht es mit dem Verkauf der Anteile spätestens im November. Der FC St. Pauli hat eine Genossenschaft mit dem Namen „Football Cooperative Sankt Pauli“ (FCSP eG) gegründet, die sich mehrheitlich an der Stadiongesellschaft beteiligt und damit Mitbesitzer am Millerntor-Stadion wird. Pro Anteil muss der Interessierte 850 Euro zahlen, davon sind 100 Euro Gebühren. Das ambitionierte Ziel des Vereins ist es, 30 Millionen Euro einzunehmen. Der Club bezog sich auf eine Marktforschung, die von einem hohen Interesse ausgehe.
Die Genossinnen und Genossen - also die Anteileigner - haben unabhängig von der Zahl ihrer Anteile jeweils nur eine Stimme. Ein wesentlicher Unterschied zu den üblichen Wirtschaftsformen im Profifußball wie die AG, die GmbH oder die Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA).
Die Genossenschaftsmitglieder bestimmen, was mit dem Geld aus den Gewinnen passiert. Klar ist: Es kommt in jedem Fall dem FC St. Pauli zugute. „Die Idee, dass die Fans gemeinsam den Verein wirtschaftlich tragen, ist einzigartig im Fußball“, sagte der Genossenschafts-Vorstand Andreas Borcherding im September.
Pro Jahr können bis zu zwei Prozent - das entspricht der idealen Inflationsrate der Wirtschaft - als Rendite an die Anteileigner ausgegeben werden. Damit wird deutlich: Eine lukrative Geldanlage für den einzelnen ist dies nicht. Wer seine Mitgliedschaft rechtzeitig kündigt, bekommt seinen Anteil von 750 Euro garantiert zurück.
Die Reaktionen in der Fußball-Szene seien breit, sagte Präsident Oke Göttlich im „Sportclub“ im NDR-Fernsehen „Die einen sagen, mutiger Schritt, andere gucken sich das Modell eben so an und überlegen, ist das was für e.Vs. - und davon gibt es ja einige - vielleicht ein gangbares Modell im Gegensatz zu einer Anleihe.“
Eines macht Göttlich klar. Geld in den Kader fließt aus der Genossenschaft nicht. Das ist in der Satzung klar geregelt. Im NDR sagte er: „Ist es jetzt ein ganz großer Schritt, um in der Bundesliga in ein nächstes Segment zu kommen? Nein.“
Fachleute sind trotz Herausforderungen zuversichtlich. „Das Genossenschaftsmodell hat seine Reize für die Branche, die aufgrund der Vereinskultur auch auf ideelle Gesichtspunkte Wert legt“, sagte Niko Jakovou, Partner bei Deloitte Legal. Es sei positiv, wenn man sagen könne, „das Stadion gehört den Fans oder den Genossen, die möglicherweise auch Mitglieder sein werden beim FC St. Pauli“.
Die Vorteile des Modells sieht der Jurist eher beim Club und zählt auf: „Positive Außenwirkung, ideelle Vorteile für alle Beteiligten und die Hoffnung auf eine günstigere Finanzierung in den nächsten Jahren.“
Ein Nachteil könnte sein, wenn eine große Zahl von Leuten gleichzeitig kündigen. „Für diesen Fall benötigt die Genossenschaft einen Plan B, ein Backup, um am Ende des Jahres, wenn die Kündigungen wirksam sind, auch die Einlagen zurückzahlen zu können“, sagte Jakovou.
Miriam Wolframm, ebenfalls Mitglied im Vorstand der Genossenschaft, sprach im NDR von einem „Leuchtturmprojekt“. „Wir sind die ersten in der Welt, die das machen - das ist der Hammer“, sagte die 43-Jährige. Sie glaubt aber auch, dass viele Menschen „uns scheitern sehen“ wollen.
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