Nach dem Einzug ins Luxus-Wellness-Resort am nördlichsten Zipfel von Katar abseits jeglichen WM-Trubels hatte Hansi Flick für seine 26 Titeljäger um den lässigen Tor-Debütanten Niclas Füllkrug eine schöne Nachricht parat.
„Freitag ist frei“, lautete die Planungsansage des Bundestrainers. Am wochenlang ausgetüftelten Ablauf bis zum Tag X, dem knackigen Turnierauftakt gegen Japan, mag der Bundestrainer nicht rütteln. Auch wenn er nach dem arg dürftigen 1:0 im eher WM-Bedenken schürenden Abschlusstest gegen den Oman selbst sagte, dass er eigentlich auf keinen Arbeitstag mit den Spielern in der so ungewöhnlichen Turbovorbereitung auf diese Fußball-Weltmeisterschaft verzichten könne.
„Klar ist, in allen Abläufen, ob das defensiv oder offensiv ist, brauchen wir noch Trainingseinheiten“, hatte Flick am späten Mittwochabend im Sultan-Kabus-Stadion von Maskat gesagt, bevor der DFB-Tross am Morgen danach weiter ins WM-Land reiste. „Nochmal runter von den Füßen, keine große Belastung, einfach nochmal runterfahren. Das sind die Dinge, die wir so geplant haben. Und ich denke, das ist die richtige Entscheidung“, sagte Flick.
Kurs halten. Keine Verunsicherung zeigen. Sondern lieber ein Versprechen an die Fans daheim verkünden: „Jeder Einzelne hat das Spiel gegen Japan im Blick und wird absolut fokussiert sein. Ich bin absolut überzeugt, dass wir da eine andere Mannschaft sehen.“ Mit viel mehr innerem Feuer und auch allen Topkräften wie Jamal Musiala.
Sechs Tage vor dem Ernstfall war aber erstmal Reisetag. Einpacken in Maskat, Flug nach Doha, auspacken in Al Ruwais. In der Mittagshitze kam der Bus mit der großflächig lackierten englischen Botschaft „Cheer“ (jubeln) nach rund 100 Kilometern Fahrt, eskortiert von Polizeiwagen mit Blaulicht, an. Langsam zuckelte die Kolonne vorbei an den wartenden Kamerateams und Fotografen. Die Straße war gesäumt mit Flaggen mit WM-Motiven.
Rückzugsort, Wohlfühloase, Kraftquelle - das soll das erst im vergangenen April eröffnete Resort für die deutschen Spieler möglichst bis zum krönenden Finale sein. Es soll zu einem arabischen Campo Bahia werden, dem legendären Quartier beim WM-Triumph 2014 in Brasilien, das nur mit einer betagten Fähre erreichbar war. Nach jeder Rückkehr von einem Sieg wurde das Refugium am Strand mit seinen Spieler-WGs idyllischer, magischer.
„Wir sind eine Mannschaft, die versucht, ein ruhiges Ambiente für sich zu finden, geschlossen für sich, wo man sich frei und ruhig bewegen kann“, erläuterte DFB-Direktor Oliver Bierhoff als erprobter Quartiermeister. „Andere Nationen machen es anders. Die Holländer zum Beispiel haben immer Stadthotels. Wir mögen es, unseren Bereich zu haben.“
Begegnungsstätten im Freien sind ein zentraler Baustein. Ebenso die kurzen Fahrten zur Trainingsstätte, dem Al Shamal Stadium, das von außen mit seinen Ecktürmen wie eine Festung erscheint. Geschützt vor Einblicken beim Geheimtraining. „Verkehr wird schon ein großes Thema in Katar“, weiß Bierhoff angesichts der geringen Größe des Emirates am Golf.
„Wir haben ein Trainingsgelände, das schnell erreichbar ist. Und die Fahrten zu den Spielen sind auch nicht so weit“, betont Bierhoff. Darum lautete die DFB-Variante: raus aus der überlaufenen Hauptstadt Doha und ab in die Wüste. Meer und Sand umgeben das Quartier. Ein goldener Käfig? Der DFB-Bereich ist vom übrigen Hotelbetrieb abgetrennt.
In einem Quartier kann sich ein Geist entwickeln. Die Turnierdynamik aber entsteht auf dem Fußballplatz, im Stadion, durch Tore und Siege. Der „Rückenwind“, den Kai Havertz nach dem matten Oman-Test reklamierte, war trotz des von ihm vorbereiteten Füllkrug-Treffers höchstens eine laue Brise. Vielmehr herrschte im Anschluss ein gewisses Reizklima. Kaum ein Spieler mochte sich äußern. Havertz klagte in der ARD: „Das Letzte, was wir jetzt gebrauchen können, ist wieder diese negative Art, die vor so einem Turnier auf uns einprasselt.“
Flicks Körpersprache in der Coaching Zone signalisierte aber auch Unzufriedenheit. Auch wenn er hinterher eine Mischung aus Mahnen und Milde wählte. „Das Spiel hat seinen Zweck erfüllt“, lautete sein Fazit. Er hatte es mit der Schonung von Assen wie Musiala, Serge Gnabry oder Rückkehrer Mario Götze, einem ungewöhnlichen 30-Minuten-Comback von Lukas Klostermann sowie den Debüts von Bremens Torjäger Füllkrug und Dortmunds Youngster Youssoufa Moukoko mehr als Personalprobe denn WM-Generalprobe genutzt.
Das war der Plan. So, wie es zu Flicks Masterplan gehört, Bayern-Anführer Thomas Müller und Abwehrchef Antonio Rüdiger pünktlich zum WM-Anpfiff startklar zu bekommen. Die Haupterkenntnis aber war, dass defensiv anders hingelangt werden muss. „Ich erwarte eine andere Zweikampfhärte, eine andere Körperlichkeit, die einfach gebraucht wird, wenn wir in dem Turnier bestehen wollen.“ Es braucht den Ehrgeiz von elf Füllkrugs. Der Spätberufene tat das, was Flick von allen 17 eingesetzten Spielern sehen wollte: „Zeigt, dass ihr bereit seid für Katar. Er hat es gezeigt“, lobte der Bundestrainer Matchwinner Füllkrug.
Der blieb bescheiden. „Ich freue mich, dass ich helfen konnte“, sagte der 29-Jährige. Er will in Katar wichtigere (Joker-)Tore schießen. „Am nächsten Mittwoch geht es um was.“ Japan zählt, sonst nichts. „Die größte Hürde wird das erste Spiel sein, dass wir das gewinnen. Dass wir mit drei Punkten starten, das wird das Wichtigste für uns sein“, sagte Kapitän Neuer. Das 0:1 gegen Mexiko vor vier Jahren in Russland war bekanntlich der Anfang vom schnellen Ende beim historischen deutschen WM-Vorrunden-Aus. Flicks Plan sieht anderes vor.
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