FLZ-Auszeichnung: Helga Kandert ist Ehrenamtliche des Monats | FLZ.de

arrow_back_rounded
Lesefortschritt

FLZ-Auszeichnung: Helga Kandert ist Ehrenamtliche des Monats

Helga Kandert aus Rothenburg ist Ehrenamtliche des Monats Oktober 2023. (Foto: Manfred Blendinger)
Helga Kandert aus Rothenburg ist Ehrenamtliche des Monats Oktober 2023. (Foto: Manfred Blendinger)
Helga Kandert aus Rothenburg ist Ehrenamtliche des Monats Oktober 2023. (Foto: Manfred Blendinger)

Bei der Aktion „Mein Ehrenamt“ fiel für den Oktober die Wahl der Jury auf die 86-Jährige aus Rothenburg.

„Helga, i hätt a Bitt.“ Den Satz hat Helga Kandert in Rothenburg oft gehört. Und die Bitte gern erfüllt. Für die FLZ ist sie die „Ehrenamtliche des Monats“ im Oktober.

Anfänge gab es viele in ihrem Leben. Zum Beispiel im Jahr 2005. Die Rothenburger Tafel war kurz vorher gegründet worden. Nach der Anfangseuphorie fehlten helfende Hände. Helga Kandert schaute an einem Freitag mal vorbei, nach einer Bitte. „Meine Lehrlingsarbeit war, Schachteln zusammenzureißen“, erinnert sie sich mit einem Lächeln an ihren ersten Tag in der Tafel.

Bei der Lehrlingsrolle blieb es nicht lange. „Ich hab es immer gesagt, wenn mir etwas aufgefallen ist. Ich kann nicht schaffen, wenn jeder macht, was er will, und keiner hat etwas in der Hand.“ Das sahen auch andere so. „Wenn du das machen willst, kannst du es machen, hat es geheißen.“ Unter ihrer Regie wuchs die Tafel unter dem Dach des Diakonischen Werks schnell. Neue Räume, neue Abläufe, viele Spender. Wenn die Tafel im nächsten Jahr ihr 20-jähriges Jubiläum feiert, ist ihr der Dank von vielen Seiten gewiss.

Regie bei der Rothenburger Tafel

Da will sie dabei sei, natürlich als Aktive, nicht auf den Plätzen der Ehemaligen. Aufhören ist für die 86-Jährige keine Option. Schließlich ist der Freitag, wenn Lebensmittel an Bedürftige ausgegeben werden, ein fester Tag im Kalender. „Urlaub gab es für mich immer nur von Samstag bis Freitag. Damit ich bei der Tafel sein kann.“ Was nicht ausschließt, auch an anderen Tagen etwas zu tun, damit andere günstige Lebensmittel erhalten. „Ich bin nicht bloß am Freitag dort.“

Aufgewachsen ist sie in der Wenggasse, auf der Seite, die zur Gemeinde Heilig Geist gehört. Dort fackelte die 14-Jährige nicht lange mit den ersten Aufgaben. „Nach der Konfirmation habe ich angefangen, Gemeindebriefe auszutragen.“ Im Elternhaus ihrer Mutter betrieb die Familie eine Büttnerei. Der Vater, gebürtiger Schwabe, hatte als Meister angefangen, nachdem die Mutter als junge Frau Waise geworden war. Die Liebe folgte im Betrieb.

Eigenes Handeln und Fleiß war den Kindern in die Wiege gelegt. Ihre ältere Schwester betrieb auf der anderen Straßenseite die Mosterei der Familie. Als es so viel Obst gab, dass die Bauern rund um die Uhr anlieferten, fing die 16-jährige Helga am Morgen um 4 Uhr in der Mosterei an und ging danach auf die Arbeit. „Wir waren alle so.“

„Ich war schon da, bevor der erste Chefarzt kam.“

Bei einer Kohlenhandlung machte sie eine Ausbildung als Großhandelskauffrau, dann gehörte sie 1956 zum ersten Team im Rothenburger Krankenhaus. „Ich war schon da, bevor der erste Chefarzt kam.“ Sie arbeitete als seine Sekretärin und in der Verwaltung. Bis sie 1959 ihren ersten Sohn zur Welt brachte. Was auch mit der Kirche zu tun hatte. „Ich habe nach der Konfirmation im Kirchenchor meinen Mann kennengelernt. Er hat auch gesungen. Angebandelt haben wir aber erst später, als er als Zimmermann von der Walz zurückkam.“

Ihr Mann öffnete der Rothenburgerin eine zweite Welt. „Seine Familie war mit dem Pferdewagen aus Siebenbürgen geflohen, als er zehn Jahre alt war.“ Das junge Ehepaar zog zu seinen Eltern ins Siedlungshaus in den Heckenacker. Als nach einem zweiten Sohn und einer Tochter der Platz zu klein war, ging es 1972 zurück in die Wenggasse.

Ruine aus den Kriegstagen wurde zum Wohnhaus

Jetzt aber auf die andere Straßenseite, die zu St. Jakob gehört. Gegenüber ihres Elternhauses stand neben der Mosterei noch eine Ruine aus den Kriegstagen, nur notdürftig abgedeckt. Ihre Mutter überließ ihr das Grundstück. „Wir haben uns ein Haus gebaut. Mein Mann hat viel selber machen können. Und die Siebenbürger haben zusammengehalten und sich geholfen.“

Die tatkräftige Gemeinschaft der Siebenbürger begann, Hilfstransporte zu organisieren, als die Not in der alten Heimat, dem heutigen Rumänien, immer größer wurde. Für Helga Kandert war es keine Frage, ab 1987 beim Hilfskreis Siebenbürgen im Vorstand dabei zu sein. „Wir gaben gesammelt und sind mit jeweils mit zwei oder drei Lkw und kleineren Fahrzeugen gefahren. Ich habe zwei von vier Transporten geleitet. Die Pakete kamen ins Pfarramt und wurden von dort verteilt.“ Bei den Transporten war jeder Zentimeter in den Lkw kostbar, mit Vanillezucker wurden die letzten Lücken gefüllt. „Ich hab wochenlang getüftelt, wie wir den Platz am besten nutzen, ohne zu schwer zu werden. Sonst gab es an der Grenze kein Durchkommen.“

Die Lkw kamen an der rumänischen Grenze durch, und die Freude an den Zielorten in Siebenbürgen war riesig. „Die Dankesschreiben kamen kartonweise.“ Was auch daran lag, dass bei den Lebensmitteln ein Zettel mit der Adresse vom Rothenburger Pfarramt lag. Mit einem nützlichen Hintergedanken. „Damit man weiß, dass sie es bekommen haben.“

Unerbittlich mit den Pfarrern

Ihre Genauigkeit wirkte auch an anderen Stellen. Helga Kandert war Sekretärin im Pfarramt und Dekanat. Und genoss so viel Vertrauen, dass zum Beruf auch ein Ehrenamt in der Gemeinde kam. Viermal wurde sie ab 1976 in den Kirchenvorstand von St. Jakob gewählt, nach 24 Jahren kandidierte sie nicht mehr. „Man muss dann auch mal die anderen lassen.“

Sie schrieb über 20 Jahre den Gemeindebrief, machte den Kirchenboten, organisierte Gemeindefeste und kannte nur in einem Punkt keine Gnade. „Bei der Rechtschreibung war ich scharf.“ Da ging sie auch mit Pfarrern hart ins Gericht. Als ein neu nach Rothenburg gekommener Geistlicher in einem Beitrag ihr geliebtes Gotteshaus beharrlich falsch schrieb, stellte sie im Kirchenvorstand den Antrag, dass die korrekte Bezeichnung der St.-Jakobs-Kirche künftig von allen einzuhalten ist. Abgestimmt werden musste nicht mehr. „Wir hatten ein paar Lehrer dabei, die gaben mir sofort Recht.“ Und so mancher Pfarrer brachte ihr in den kommenden Jahren seine eigenen Texte vor einer Veröffentlichung vorbei. Ob sie mal drüberschauen könnte?

Helga Kandert half beim Blutspenden des Roten Kreuzes und in der Rothenburger Tansania-Hilfe, die über Jahre unter anderem mehrere hundert mechanische Nähmaschinen auftrieb, technisch überholte und zum Transport nach Uffenheim brachte. Die drei Kinder kamen nicht zu kurz. „Alle am Gymnasium, alle studiert. Wann ich das alles gemacht habe? Das frag ich mich manchmal auch. Ich weiß es nicht.“

Mit dem Ehemann das Wildbad Rothenburg gerettet

Ihr Ehemann war stets an ihrer Seite. „Andere brauchen jemand, der einem den Rücken frei hält. Wir waren immer miteinander.“ Michael Kandert war nicht nur ein handwerklich hochversierter Hausmeister im Rothenburger Wildbad, sondern auch dessen gute Seele. Als er zehn Jahre vor seinem Tod an Parkinson erkrankte, pflegte sie ihn zuhause bis zum letzten Tag. Auch für den 2021 verstorbenen Michael Kandert war das Engagement für andere selbstverständlich. An der Wand kündet davon die Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.

Daneben hängt die Urkunden von Helga Kandert und das Ehrenzeichen des bayerischen Ministerpräsidenten für ihre Verdienste im Ehrenamt. Eine Urkunde mit einem herzlichen Dank vom Landesbischof hat noch einen besonderen Hintergrund. Denn nebenbei rettete das Ehepaar das Wildbad, eines der prägenden Gebäude Rothenburgs, davor, in die Hände einer Sekte zu gelangen.

„Residenz des Zeitalters der Erleuchtung“

Das imposante Kurhotel aus dem Jahr 1902 war zum Objekt der Begierde für die Sekte des indischen Gurus Maharishi Mahesh Yogi geworden. Diese versprach ihren Jüngern unter anderem die Transzendentale Meditation, bei der man durch die schiere Kraft des Geistes den Boden verlassen konnte, um in höhere Sphären zu schweben. Maharishi Mahesh Yogi erfreute sich in der Hippie-Bewegung weltweiter Bewunderung und empfing unter anderem die Beatles zu Meditation. Im Jahr 1977 wollte die Sekte das Wildbad vom Landesverband der bayerischen Ortskrankenkassen kaufen, um dort eine „Residenz des Zeitalters der Erleuchtung“ zu errichten.

Die Sekte hatte das Wildbad schon angemietet und hielt Kurse ab. Mit den Ortskrankenkassen war ein Vertrag beim Notar unterzeichnet. Allerdings hatte die geschäftigen Anhänger des indischen Glückslehrers den heimischen Hausmeister nicht auf der Rechnung. Michael Kandert hatte die Pläne mitbekommen, seine Ehefrau hatte beste Kontakte in der Kirche.

Abflug für die Sekte aus Indien

Nach diskreten nächtlichen Sitzungen zog die Stadt ihr Vorkaufsrecht und verkaufte die weitläufige Anlage im Taubertal flugs weiter an das Diakoniewerk Neuendettelsau. Den Anhängern der Transzendentalen Meditation blieb nur der Abflug aus Rothenburg. „Ohne uns wäre das Wildbad nicht zur Kirche gekommen“, blickt Helga Kandert zufrieden auf ihre kürzeste ehrenamtliche Tat mit der längsten Wirkung zurück. Das Wildbad ist bis heute eine evangelische Tagungsstätte.

Ist ihr jemals etwas zu viel geworden? Die 86-Jährige muss nicht lange nachdenken. „Nein, das war bei uns selbstverständlich.“ Helga Kandert stellt weiter jede Woche die Weichen für die Tafel und trägt immer noch den Gemeindebrief aus. „So lange ich laufen kann und den Kopf habe, will ich das machen.“

„Mein Ehrenamt“ ist der Preis der FLZ für gesellschaftlich engagierte Menschen in Westmittelfranken. Unterstützt wird er von der Richard Köstner AG aus Neustadt. Kennen auch Sie jemanden, den Sie für diese Auszeichnung vorschlagen möchten? Die Hintergründe unserer Aktion und das Bewerbungsformular für den FLZ-Ehrenamtspreis finden Sie hier.


Von Manfred Blendinger
north