Kinder liegen Lilo Sauer am Herzen. Deshalb leitet sie seit 22 Jahren im deutschen Kinderschutzbund den Kreisverband Ansbach. Und kümmert sich intensiv um geflüchtete Menschen, egal welchen Alters. Für die FLZ ist die 71-jährige Feuchtwangerin die „Ehrenamtliche des Monats” für den Dezember.
Was ist ihr am wichtigsten? „Zuhören muss ich. Das ist die Hauptsache. Man merkt, wie sich Menschen verändern, wenn sie einmal etwas erzählen können.“ Schnelle Antworten dazu gibt es von Lilo Sauer selten. Sie denkt lieber erstmal nach, was wer in welchem Fall tun kann. Vor allem, wenn es schwierig ist und Lösungen fern scheinen. „Ich will eher sagen, was geht. Nicht so sehr, was nicht geht.“
Im Jahr 2001 waren bei einer Fachtagung vom deutschen Kinderschutzbund in Regensburg mehrere Teilnehmerinnen aus dem Landkreis Ansbach. „Bei der Tagung ging es darum, Gewalt an Kindern und ihre Vernachlässigung zu verhindern. Wir waren so begeistert, dass wir gesagt haben, so etwas sollten wir bei uns im Landkreis auch voranbringen.“
Es war eine Zeit des Aufbruchs im Umgang mit Kindern in Schulen und Familien. Erst ein Jahr vorher hatte der Bundestag ein Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung verabschiedet. „Da hat der Kinderschutzbund gesagt, wir müssen den Eltern dann auch zeigen, wie man es anders macht.“
Stadt und Landkreis Ansbach waren bis dahin ein weißer Fleck im Kinderschutzbund. Als sich 2001 ein Kreisverband formierte, war schnell klar, dass Lilo Sauer die Gründungsvorsitzende wird und der Verband seinen Sitz in Feuchtwangen hat. „Ich kann ganz gut Menschen zusammenbringen“, sagt die inzwischen seit über zwei Jahrzehnten amtierende Vorsitzende. „Meine Aufgabe ist es, zu schauen, wen müssen wir wo mit einbinden. Man kann damit Menschen, die etwas tun wollen, gut stützen.“
„Wertschätzung ist das, was uns zusammenhält.“
Das Miteinander kannte sie von Kindheit an. „Ehrenamtliche Arbeit war in unserer Familie immer selbstverständlich. Da ist nicht groß darüber geredet worden, dass man in einem Verein war und dort mitgemacht hat, was zu tun war.“ Im Reitverein hat sie schon früh Kindergruppen betreut. „Mich hat geprägt, dass dort Erwachsene waren, die das wertgeschätzt haben. Dass jemand gesagt hat, ich finde das toll, wenn du Kindergruppen machst. Da war ich selbst noch Jugendliche.“
Gerade in dem Alter sei es wichtig, dass es Erwachsene außerhalb der Familie gibt, die eine Arbeit wertschätzen. „So sehe ich jetzt meine Rolle“, so die 71-Jährige. „Dass ich die Wertschätzung ausdrücken kann, wenn andere ins Ehrenamt mit einsteigen. Für mich ist es die Anerkennung dessen, was jemand tut, eine wichtige Aufgabe. Das kann auch mal nur durch einen Blick sein.“ Keine Einbahnstraße, betont die Vorsitzende. „Dieses Wertschätzen geht hin und her. Andere haben andere Fähigkeiten. Wertschätzung ist das, was uns zusammenhält.“
Nach der Gründung des Kreisverbandes im Kinderschutzbund im Jahr 2001 galt es, ein Angebot zum neuen Ziel der gewaltfreien Erziehung zu finden. Dabei entstand unter dem Titel „Starke Eltern, starke Kinder“ ein Kursangebot für alle Mütter und Väter, die mehr Freude und Sicherheit in ihrer Erziehung erreichen möchten.
„Davon bin ich heute noch begeistert“, sagt Lilo Sauer. Der Elternkurs wird von pädagogischen Fachkräften geleitet, die vom Kinderschutzbund speziell für diese Tätigkeit ausgebildet werden. Sein Thema ist unverändert aktuell, auch wenn sich die Rolle der Eltern nach Sauers Beobachtung geändert hat. „Die Eltern sind heute mehr unter Druck, dass die Kinder gelingen müssen. Wenn ein Kind heute nach der vierten Klasse nicht ans Gymnasium oder an die Realschule kommt, ist für viele angeblich die Karriere vorbei. Aber auch danach gibt es endlose Möglichkeiten, immer noch etwas draufzusetzen. Eltern könnten deshalb ganz gelassen mit dieser Situation umgehen, aber das hat sich nicht so entwickelt. Die Erwartungen an Kinder sind mehr geworden.“
Deren zentrale Bedürfnisse haben sich aus ihrer Sicht nicht geändert: „Kinder brauchen Zeit, sie brauchen jemanden, der ihnen zuhört, und sie brauchen eine Möglichkeit zu lernen. Lernen ist etwas Aktives, nichts, was man ihnen eintrichtert, sondern etwas, womit sie sich befassen können. Die Anforderung an die Eltern ist, das auch heute zu gewährleisten.“
Die Entwicklungen in der Erziehung hat Lilo Sauer seit fünf Jahrzehnten eng verfolgt. Im Jahr 1972 begann sie ihr Studium für das Lehramt, nach dem sie an verschiedenen Grund- und Hauptschulen arbeitete. Als ihre zwei Kinder Jugendliche waren, begann sie eine Zusatzausbildung mit einem weiteren Staatsexamen als Beratungslehrerin. Unter anderem in Feuchtwangen, Langfurth, Dinkelsbühl, Dentlein, Schillingsfürst und Herrieden versuchte sie, für Kinder mit besonderen Schwierigkeiten die passenden Wege zu finden.
Als sie im Jahr 2015 in Rente ging, waren gerade unerwartet viele Menschen nach Deutschland geflüchtet. In Feuchtwangen bildete sich wie an anderen Orten ein Helferkreis. „2014 an Weihnachten haben wir uns zum ersten Mal getroffen. Im Januar war dann die Turnhalle in Feuchtwangen mit geflüchteten Menschen belegt. Es waren am Anfang sehr viele Kinder zu betreuen. Deshalb sind wir als Kinderschutzbund in den Kreis der Flüchtlingshelfer eingestiegen.“
Seitdem sind in Feuchtwangen Kinderschutzbund und Flüchtlingshilfe sehr eng verknüpft. Die Stadt stellt dem Kreisverband Räumlichkeiten zur Verfügung. Die organisatorischen Strukturen wurden auch für die Flüchtlingshilfe genutzt. „Und wir haben Expertise. Gerade bei den Flüchtlingen mit Kindern gibt es Aufgaben, die machen besser Ehrenamtliche.“
Und es gibt andere Aufgaben, für die man hauptamtliche Kräfte braucht. Da ist es nützlich, dass sich die Lehrerin und Mutter auch politisch engagiert hat und neben Beruf, Familie und Ehrenamt acht Jahre für die SPD im Kreistag mitwirkte. „Man kann nicht immer schreien, Frauen müssen aufgestellt werden, und dann sagen: Aber nicht mit mir.“ Durch ihre politischen Erfahrungen kennt sie die Strukturen. „Es ist für viele Dinge wichtig, wenn man weiß: Wo gehe ich damit hin?“
Ihr Netzwerk war bei Problemen von Eltern, aber auch für die Entwicklung im Kinderschutzbund oft hilfreich. Kurse für Eltern über zehn Abende gibt es immer noch, die Nachfrage nach kürzeren Veranstaltungen kam dazu. „Deshalb gibt es heute auch den Eltern-Talk, einzelne Gesprächsrunden für Eltern vor Ort. Themen sind zum Beispiel der Umgang mit Internet oder Smartphone. Wir haben nicht die Philosophie, etwas vorzugeben. Wir wollen Erfahrungen austauschen, um etwas zu versuchen und wieder darüber zu reden.“
„Wir sind eine Lobby für Kinder und Jugendliche”
Ein wichtiges Projekt, für das der Kreisverband seine erste hauptamtliche Mitarbeiterin einstellen konnte, ist die Ausbildung von Familienpaten, die Eltern in bestimmten Situationen entlasten. Weitere Angebote haben sich entwickelt. „Im Kinderschutzbund decken inzwischen neue Aktive Bereiche ab, die wir vorher nicht hatten, wie Auftritte in Social-Media-Kanälen. Auch die Homepage spielt eine größere Rolle. Das ist schön, wenn das Bisherige ergänzt wird.“ Das Grundprinzip ist unverändert. „Wir sind eine Lobby für Kinder und Jugendliche durch die Arbeit mit ihren Eltern. Und wir sind offen für Aktionen mit Kindern, etwa bei Festen oder Ferienprogrammen.“
Lilo Sauers Engagement ist ungebrochen. „Durch die ehrenamtliche Arbeit komme ich mit Menschen in Kontakt, die ich sonst in meinem Leben nicht getroffen hätte. Mit ganz unterschiedlichen Menschen und in jeder Altersgruppe.“ Der Kreisverband ist auf 65 Mitglieder gewachsen, rund die Hälfte ist bei konkreten Projekten aktiv. Immer wieder jemanden zur Mitarbeit zu gewinnen, bleibt eine Herausforderung. „Es hängt an persönlichen Kontakten. Man muss darauf horchen, was Leute interessiert und wozu sie bereit wären“, rät die Vorsitzende. „Die längere ehrenamtliche Arbeit ist das Schwerste. Einzelaktionen funktionieren meistens ganz gut. Für einzelne Termine findet man immer jemanden.“
Inzwischen hat der Kinderschutzbund im Jugendhilfeausschuss des Kreistags einen Sitz. „Das ist für uns ein Gewinn, weil wir dort vorbringen können, was uns an Problemen und Anliegen bekannt wird. Und es gibt den Moment, wo man mit einem Vorschlag, wie etwas gehen könnte, ernstgenommen wird. Das ist auch ein Anreiz.“
Im Büro des Kinderschutzbundes, das seit sieben Jahren auch für die bis heute aktive Flüchtlingshilfe in Feuchtwangen zu einem zentralen Ort geworden ist, hat Lilo Sauer für alle Besucher und Anrufer weiter ein offenes Ohr. „Ich kann auch tagsüber da sein und Beratungsgespräche führen.“ Wie viele Stunden sie in der Woche ehrenamtlich leistet, will sie nicht sagen. „Im Moment bin ich diejenige mit der meisten Zeit. Etwas miteinander auf die Füße zu stellen, ist das, was Spaß macht.“
Die Hintergründe unserer Aktion und das Bewerbungsformular für den FLZ-Ehrenamtspreis finden Sie hier.