Sie strahlt. Taylor Swift erscheint wie aus dem Nichts auf der Bühne, singt die ersten Worte des Abends in ein glitzerndes Mikrofon. Dann breitet sie die Arme aus und lächelt in die Menge. Knapp 60.000 Fans, aus aller Welt ins unscheinbare Gelsenkirchen gereist, sind spätestens jetzt überhaupt nicht mehr zu halten. Es wird gejubelt, geschrien, auch geweint.
Während der ersten Lieder, es sind Songs ihres Albums „Lover“, singt und tanzt Swift in einem pinken Bodysuit über die scheinbar endlos lange Bühne. Dann hält die 34-Jährige inne und sagt die Worte, auf die so viele hier so lange gewartet haben: „Gelsenkirchen, willkommen zur „Eras Tour”!“
Den folgenden Jubel lässt Swift erst mal wirken. Vollkommene Ekstase ist normal für sie - wo sie auftaucht, wird sie von ihren „Swifties“ frenetisch empfangen. Seit über einem Jahr reist die Sängerin mit ihrer „Eras Tour“ durch die Welt. Es ist eine musikalische Reise durch ihre Schaffensphasen - jeder „Era“ (Epoche) widmet sie ein eigenes Bühnenbild. Die Show ambitioniert zu nennen, wäre untertrieben: 45 Lieder stehen auf der Setlist, dreieinhalb Stunden lang dauert ein Konzert.
Dass diese in jeder Hinsicht gewaltige Produktion nicht in Berlin aufgeführt wird, aber gleich dreimal in Gelsenkirchen, hatte vorab sogar international für Spott gesorgt. US-Moderator Jimmy Kimmel witzelte etwa, es habe noch nie jemand von „Gelsenkirchen, Deutschland“ gehört. „Vielleicht existiert es nicht einmal“.
Vom Gegenteil können sich Fans aus den USA, Kanada, Südafrika und vielen europäischen Ländern nun selbst überzeugen. Als „Hauptgewinn“ für das Image von Gelsenkirchen hatte der Kulturwissenschaftler Jörn Glasenapp die Swift-Konzerte vorab bezeichnet. Die Stadt berichtete, der Hype um die „Eras Tour“ sei sogar größer als das Interesse an den Spielen bei der Fußball-Europameisterschaft in Gelsenkirchen.
In Sachen Pop-Perfektion setzt die Musikerin mit der „Eras Tour“ neue Maßstäbe. Dass sie in ihrer gigantischen Inszenierung nie arrogant oder zu weit entfernt erscheint, liegt wohl vor allem an einem - Swift ist freundlich, hinter dem Profi irgendwo auch Mensch. Ihre wahre Stärke als Popkünstlerin liegt darin, diesen Hauch von Nahbarkeit stets greifbar zu machen.
Wenn sie die Standing Ovations nach der Ballade „Champagne Problems“ minutenlang genießt, mit ihren Tänzern Grimassen schneidet, oder eben ihr berühmtes Lächeln lächelt, dann wirkt das sympathisch. Dann glaubt man ihr die Freude, diese Show spielen zu können - hier, in Gelsenkirchen. So wie es ihr wenige Tage zuvor auch die Menschen in Mailand, Zürich, Amsterdam geglaubt haben.
Fragt man „Swifties“ in der Warteschlange vor der Arena danach, was sie an diesem Popstar so sehr begeistert, dann lauten die häufigsten Antworten: „Sie ist echt.“ „Sie ist wie eine Schwester.“ „Ich sehe zu ihr auf.“ Diese Antworten sind kein Zufall. Swift und ihr Team haben jahrelang mit Fan-Events und Social-Media-Posts daran gearbeitet, sie als Superstar von nebenan zu perfektionieren.
Wie stark die „Swifties“ als Fangemeinschaft sind, zeigt sich am Beispiel von „Taylor's Version“: Nach einem Streit mit ihrem alten Label hat Swift begonnen, ihre ersten sechs Alben neu aufzunehmen, um die Rechte daran zurückzugewinnen. Immer wieder sorgten die Fans bereits dafür, dass die neue alte Musik Streamingrekorde brach.
Nun stehen noch zwei Neuauflagen aus: „Reputation“ (2017) und ihr Debütalbum „Taylor Swift“ (2006). Es ist möglich, dass sie eines oder beide Alben während der laufenden Tour veröffentlicht. Denkbar ist auch, dass sie das Projekt „Taylor's Version“ erst nach der Tournee vollendet.
Was dagegen völlig offen scheint, ist die Frage, wie Swift ihre Karriere fortschreiben will. Die „Eras Tour“ hat die schon vorher berühmte Sängerin auf ein Level katapultiert, für das es kaum noch Vergleiche gibt. Der US-Musiker Billy Joel sprach in Anlehnung an die „Beatlemania“ von einer „Swiftmania“. Wie weit lässt sich diese Euphorie noch steigern?
Ein neues Album wäre wohl der einfachste Schritt. In der jüngeren Vergangenheit hat Swift ihre künstlerische Palette aber auch erweitert, trat bei mehreren Musikvideos als Regisseurin in Erscheinung. Das Branchenmagazin „Variety“ berichtete von einem Spielfilm-Deal mit dem Studio Searchlight Pictures.
Zumindest viele Fans hoffen eher auf privates Glück - eine Verlobung und Familie mit ihrem Freund Travis Kelce. Die beiden sind seit gut einem Jahr ein Paar. Laut pixeligen Fotos und Videos in sozialen Netzwerken schaut Kelce wohl auch in Gelsenkirchen in einer der Logen zu. Es ist längst nicht sein erster Besuch bei einem Konzert seiner Liebsten. Bei einem von Swifts Auftritten in London war der NFL-Star sogar Teil der Choreographie auf der Bühne.
Klar ist, dass die „Eras Tour“ noch in diesem Jahr zu Ende geht. Das hatte Swift bereits im Juni bei der 100. Show in Liverpool angekündigt.
Swift ist eine Pop-Maschine, an der sich natürlich genug kritisieren lässt. Da sind ihre Privatflüge - schlecht fürs Klima. Ihre Exklusivverträge mit Riesen-Firmen wie Ticketmaster und Live Nation - schlecht für die Musikbranche. Was aber nicht in Zweifel gezogen werden kann, ist das Gemeinschaftsgefühl, das ihre Maschine immer wieder zuverlässig produziert.
Der „Eras“-Glücksmotor funktioniert in Nashville wie in London, in Singapur wie in Buenos Aires. Und er taucht eben auch Gelsenkirchen für ein paar Stunden in buntes Funkellicht. Zwei weitere Shows warten noch im Ruhrgebiet, bevor Swift vier weitere Deutschlandshows in Hamburg und München spielt.
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