So manche Belastung der Corona-Pandemie scheint nachzulassen, aber von einer rundum gesund lebenden Republik ist Deutschland noch weit entfernt. Das zeigen Ergebnisse eines Reports der Deutschen Sporthochschule Köln und der Deutschen Krankenversicherung (DKV), der in Berlin vorgestellt wurde. Darin werden bei den Bundesbürgern unter anderem ein Trend zum immer längeren Sitzen und ein teils geringes psychisches Wohlbefinden kritisch gewertet.
Ohne umfassende Präventionsangebote drohe der Gesellschaft ab 2030 eine gesundheits- und sozialökonomische Krise, warnt einer der wissenschaftlichen Leiter, der Kölner Sportwissenschaftler Ingo Froböse. Er fordert, dass Bewegung zu alltäglicher Routine wird und Sport wieder einen Platz im Zentrum der Gesellschaft einnimmt. Es ist die siebte Ausgabe des DKV-Reports „Wie gesund lebt Deutschland?“ seit 2010. Die Angaben zum Lebensstil basieren auf telefonischen Befragungen.
17 Prozent der Befragten erreichen nach den Kriterien des Reports Werte, die einem rundum gesunden Leben in sämtlichen abgefragten Bereichen gleichkommen: Dazu zählen körperliche Aktivität, Ernährung, Alkohol- und Tabakkonsum sowie Stressempfinden. Das werten die Verfasser als niedriges Niveau. Der Anteil hat sich nach einem Knick im Corona-Jahr 2021 mit damals nur elf Prozent aber immerhin wieder auf dem Niveau der Zeit vor der Pandemie eingependelt.
Eher ungesund leben laut dem Report die 30- bis 45-Jährigen, die oft Beruf, Kinderbetreuung und Pflege Angehöriger unter einen Hut bekommen müssen. Nur jeder Zehnte in dem Alter erreicht Werte eines rundum gesunden Lebens. Die Maßstäbe, die die Forscher ansetzen, sind an Empfehlungen verschiedener Institutionen angelehnt, darunter etwa die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE).
Als positive Entwicklung hebt der Bericht unter anderem sinkende Raucherzahlen hervor (85 Prozent rauchen nicht). Und auch beim Umgang mit Stress seien Fortschritte zu verzeichnen.
Als besorgniserregend stufen die Autoren die immer längeren Zeiten pro Tag ein, die die Bundesbürger im Sitzen verbringen: An Werktagen seien es nun 9,2 Stunden durchschnittlich, noch einmal eine halbe Stunde mehr als 2021. Nach Daten von 2015 hatten die Menschen damals noch 7,5 Stunden pro Tag gesessen. Am längsten sitzen laut der aktuellen Befragung die 18- bis 29-Jährigen, mit mehr als 10 Stunden täglich.
Langes Sitzen könne das Risiko für das Entstehen von Herzerkrankungen, Krebs und Typ-2-Diabetes erhöhen, warnt die WHO. „Eine Verminderung der täglichen Sitzzeiten durch Bewegung reduziert das Sterberisiko erheblich“, sagte Froböse laut Mitteilung. Das Autorenteam betont zudem die Bedeutung von regelmäßigem Muskeltraining: Das sei auch ein wichtiger Schutzfaktor gegen Pflegebedürftigkeit im Alter. Bislang betreibe knapp die Hälfte der Bundesbürger aber gar kein solches Training.
Auch beim subjektiven psychischen Wohlbefinden deuten die Ergebnisse auf einen beunruhigenden Trend hin: Bei etwa einem Viertel der Bundesbürger seien die Ergebnisse kritisch - so, dass man sie als ersten Hinweis für die Entwicklung einer Depression ansehen könne. Dabei könne gerade regelmäßige Bewegung mehr Wohlbefinden bringen: „Wer sich wohl fühlt, bewegt sich mehr bzw. wer sich mehr bewegt, fühlt sich wohler“, hieß es.
Sitzen: Welche tägliche Sitzdauer noch gesundheitsverträglich ist, können Fachleute bisher nicht gesichert sagen. Generell lautet der Rat aber, diese Zeit zu verringern. Je länger man sitze, umso mehr Bewegung sei nötig, um das gesundheitliche Risiko auszugleichen, erklärt Birgit Sperlich von der Universität Würzburg, die die Untersuchung mit Froböse leitete. Sie beruft sich auf eine Studie, derzufolge Menschen, die mehr als acht Stunden am Tag sitzen, ihr gesundheitliches Risiko nur durch 60 bis 75 Minuten mindestens moderat-intensive Bewegung pro Tag ausgleichen konnten.
Bewegung: Jegliche körperliche Aktivität ist besser als keine - und mehr ist besser, wie die WHO betont. Für Gesundheit und Wohlbefinden empfiehlt sie allen Erwachsenen mindestens 150 bis 300 Minuten moderat-intensive Bewegung pro Woche. Sei es bei der Arbeit, im Haushalt, beim Sport oder in der Freizeit. „Moderat-intensive Bewegung entspricht dabei einer Bewegung, die einen ganz leicht ins Schwitzen und etwas schwerer zum Atmen bringt, wie zum Beispiel Spazierengehen“, erklärt Sperlich. Bei intensiverer Bewegung müsse man für den gleichen gesundheitlichen Nutzen weniger Zeit aufbringen.
Die Ergebnisse der Befragung von 2800 Erwachsenen sind laut Angaben repräsentativ. Körperliche Untersuchungen gab es allerdings nicht. Die Verfasser selbst weisen auf das Risiko hin, dass Befragte am Telefon eher sozial erwünschte Antworten geben könnten. Sie könnten zum Beispiel behaupten, regelmäßiger Gemüse zu essen als sie das in Wahrheit tun. Insofern ist nicht ausgeschlossen, dass der Report sogar noch ein zu positives Bild zeichnet.
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