Ein Meer aus Kerzen um ein schlichtes Holzkreuz vor dem Altar - sie leuchten für die Opfer des Zugunglücks von Garmisch-Partenkirchen.
In der Pfarrkirche Maria Himmelfahrt der Marktgemeinde haben katholische und evangelische Kirche am Samstag gemeinsam mit Angehörigen, Rettungskräften und Einheimischen einen bewegenden Gottesdienst gefeiert. Das Unglück sei „brutal eingeschlagen“ in das Leben der Menschen, es sei ein Einschnitt auch für den Ort, sagte der Erzbischof von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx, in der mit 300 Menschen besetzten Kirche. Der Gottesdienst sei Ausdruck der Trauer und Betroffenheit, „aber auch Ausdruck unserer Hoffnung“. „Wir stehen mit leeren Händen vor Gott. Aber er kann sie füllen mit seinem Trost“, sagte Marx, der den Gottesdienst mit dem evangelischen Regionalbischof Christian Kopp gestaltete.
„Ihr müsst jetzt damit leben, dass Ihr dabei gewesen seid an diesem 3. Juni 2022 - und dass Eure Welt nun eine andere ist“, wandte sich Kopp an Angehörige und Überlebende, an Rettungskräfte und andere Helfer in der Kirche. „Durch das Leben fegt manchmal ein Sturm, der alles vernichten will“, sagt Kopp, der selbst erst vor einem Jahr einen Sohn verloren hat. „Die Schneise, die dieser Unglückssturm durch das Leben geschlagen hat, die wächst nicht einfach schnell zu.“ Ein kleines Pflänzchen könne dieser Gottesdienst sein. „Gemeinsam sind wir hier und wir stärken uns gegenseitig. Es geht nur gemeinsam. Und es wird anderes wachsen in Deinem und in meinem Leben.“
Am Mittag des 3. Juni war ein Regionalzug Richtung München entgleist. Am letzten Tag vor den Pfingstferien war er auch mit vielen Schülern besetzt. Ein 13-Jähriger aus der Region, eine 51-Jährige aus Wiesbaden und eine 70-jährige Frau aus dem Landkreis München starben - und zwei 30 und 39 Jahre alte Mütter aus der Ukraine, die mit ihren Kindern vor dem Krieg geflüchtet waren.
Gesungene Gebete in ukrainischer Sprache setzen ein Zeichen für das Schicksal dieser Frauen und ihrer Kinder - die nun Halbwaisen sind. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) spricht diese besondere Tragik an. Es seien Frauen gewesen, „die auf Sicherheit in unserem Land gehofft haben. Und gerade bei uns ums Leben gekommen sind.“
Er spricht den Angehörigen der Opfer sein Beileid aus und dankt den Rettungskräften, darunter viele Ehrenamtliche - die womöglich Schwerverletzten mit ihrem raschen Einsatz das Leben gerettet hätten. 750 seien es gewesen, die bis an die Grenze der Leistungsfähigkeit geholfen hätten, sagt der Innenminister. Viele der Helfer in Uniform sitzen in der Kirche, stellen nach dem Gottesdienst wie die anderen Besucher ein brennendes Teelicht auf.
Blumen mahnen an der Unfallstelle an das Unglück - wo noch immer die Lok und ein Waggon auf den Gleisen stehen, direkt neben der Bundesstraße nach Garmisch-Partenkirchen: ein unübersehbares Zeichen für die bei strahlendem Wetter wieder in Massen heranströmenden Ausflügler.
Sichergestellt sind schon geborgene Fahrgestelle und völlig zertrümmerte Waggons sowie Teile von Schienen. Bei der Suche nach der Ursache liegt der Fokus auf einem technischen Defekt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen eines Anfangsverdachts der fahrlässigen Tötung gegen drei Mitarbeiter der Bahn. Die fast 50 Mitarbeiter umfassende Soko „Zug“ der Polizei arbeitet weiter auf Hochtouren daran, die Gründe für das Unglück zu klären.
Die Bahn hat begonnen, die Gleise nördlich der Unglücksstelle instand zu setzen, um die Lok und den letzten Waggon abzutransportieren. In Richtung Süden sind die Gleise noch immer nicht freigegeben.
Während Bahnmitarbeiter an der Unfallstelle zu Gange sind, kämpfen Besucher in der Pfarrkirche mit den Tränen. „Nehme die Opfer des verheerenden Zugunglücks in deine liebevollen Hände und gebe den Hinterbliebenen Kraft, Liebe und Zuversicht“, hat jemand in das Fürbitt-Buch geschrieben.
Kopp sagt: „Viele leiden mit denen, die um die Toten trauern. Die sie vermissen. So viele fühlen mit den Verletzten und ihrer Not. Und beten für ihre Genesung und hoffen darauf.“ Noch sei die Unfallursache nicht vollständig geklärt, sagt Innenminister Herrmann - und „die tränenreichen Fragen, warum gerade unser Bub, gerade unsere Mutter, können sowieso nicht technisch beantwortet werden“.
© dpa-infocom, dpa:220611-99-628834/4