Gutachter: Tödliche Stiche in Bad Windsheim mit großer Wucht | FLZ.de

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Veröffentlicht am 01.12.2022 17:50

Gutachter: Tödliche Stiche in Bad Windsheim mit großer Wucht

Gutachter Professor Dr. Peter Betz erschütterte die Version des Angeklagten von der Tat in Bad Windsheim. Waren die Messerstiche Mord oder Totschlag? (Foto: Manfred Blendinger)
Gutachter Professor Dr. Peter Betz erschütterte die Version des Angeklagten von der Tat in Bad Windsheim. Waren die Messerstiche Mord oder Totschlag? (Foto: Manfred Blendinger)
Gutachter Professor Dr. Peter Betz erschütterte die Version des Angeklagten von der Tat in Bad Windsheim. Waren die Messerstiche Mord oder Totschlag? (Foto: Manfred Blendinger)

Tödliche Stiche in den Hals einer 33-Jährigen aus Bad Windsheim können nicht durch einen tragischen Zufall in einem Handgemenge entstanden sein, ist Professor Dr. Peter Betz überzeugt. Für ihn steht nach der Obduktion eindeutig fest, dass die dreifache Mutter durch Messerstiche mit großer Wucht starb. Für die Richter kommt inzwischen auch eine besondere Schwere der Schuld in Betracht.

Der Leiter des Instituts für Rechtsmedizin an der Universität in Erlangen stellte am Donnerstagmorgen vor der 5. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth sein Gutachten vor. Die Version des Angeklagten hält er für nicht glaubhaft. Der Bad Windsheimer hatte erklärt, in einem Handgemenge sei seine Ex-Frau aus Versehen durch ein Küchenmesser, das sie selbst in der Hand gehalten habe, zu Tode gekommen. Danach habe sein Gedächtnis ausgesetzt.

Gutachter sagte im Mord-Prozess aus

„Mir ist in 32 Jahren kein einziger solcher Fall bekannt geworden“, sagte der Gutachter. Das Opfer habe an beiden Händen eindeutige Abwehrverletzungen gehabt, die zeigen würden, dass es sich vor Stichen schützen wollte und nicht selbst zustach. Die drei schwersten Wunden seien so tief, dass man sie sich nicht selbst zufügen könne. „Da war eine ganz erhebliche Stichwucht dahinter.“

Bei der Obduktion stellten die Rechtsmediziner zwei Verletzungen mit bis zu neun Zentimetern Länge am Hals fest, die Betz als „halb Stich-, halb Schnittwunden“ beschrieb. Dazu kam eine Stichwunde in den Kehlkopf. Ein weiterer Stich durchdrang die Rippen.

Zwei der Stiche gingen durch bis zur Wirbelsäule, sagte Betz. Wenn Messerstiche erst durch erkennbare Kerben in der Wirbelsäule gestoppt werden, so der Gutachter, sei klar, mit wie viel Kraft sie geführt worden seien. Dazu kamen zwei weitere schwere und zahlreiche kleinere Verletzungen. Er habe selten ein Opfer mit so vielen Verletzungen gesehen, sagte Betz. Alle Wunden seien auf der Vorderseite gefunden worden. Laut Anklage soll der Bad Windsheimer seine Ex-Frau an den Haaren zu Boden gebracht und dann zugestochen haben.

Psychiater bewertete Schuldfähigkeit des Bad Windsheimers

Am Nachmittag erläuterte Dr. Dieter Härtl sein psychiatrisches Gutachten. Der Psychiater ging in seinem rund einstündigen Vortrag alle Aspekte durch, die für eine mögliche Minderung der Schuldfähigkeit sprechen könnten. Die Bewertung liege beim Gericht, betonte Härtl. Er könne nur seine Einschätzung aus fachlicher Sicht geben. Und hier sehe er keine Merkmale, bei der sich die Frage nach einer verminderten Schuldfähigkeit stellen würde.

Der frühere Ansbacher Landgerichtsarzt ist im Ruhestand weiterhin ein gefragter Gutachter. Er hatte neben der Analyse der kompletten Krankenakte auch ausführlich mit dem Angeklagten geredet und mit ihm Tests gemacht. Dabei sei ihm aufgefallen, wie einseitig der Bad Windsheimer über die Getötete sprach. „Ich hatte den Eindruck, dass er überhaupt keine positive Erinnerung an sie hat. Er hat sie als bösartige Frau beschrieben“, so Härtl.

Welche Folgen hatte Cannabis-Konsum?

Seit seinem 18. Lebensjahr habe der Angeklagte Cannabis konsumiert. Andere Drogen habe er nach kurzen Testphasen nicht mehr genommen. Sein Konsum sei in den vergangenen Jahren geringer geworden als früher und habe bei zwei bis drei Joints pro Tag gelegen. Durch die Gewöhnung bedeute dies keine Tendenz zur plötzlichen Verhaltensänderungen. Zudem wirke Cannabis in der Regel nicht aufputschend, sondern lasse die Konsumenten eher ruhig werden.

Für Psychosen, die eine entscheidende Rolle für die Tat gespielt haben könnten, habe er ebenso wenig Anhaltspunkte gefunden. Dies gelte auch für die depressiven Phasen, in der sich der Angeklagte in den vergangenen Jahren immer wieder befunden hat. Diese führten nicht zu Aggressionen, sondern eher zu Antriebslosigkeit. Wenn es bei Depressionen doch zu Aggressionen komme, dann meist gegen sich selbst.

Angeklagter war „verletzt und nachtragend“

Der Angeklagte habe ein hohes Redebedürfnis gezeigt und immer wieder davon berichtet, wie sehr er von seiner Frau enttäuscht war. Diese habe schon zwei Monate nach der Hochzeit im Sommer 2017 ihr Verhalten geändert. „Er hat sich vernachlässigt gefühlt, auch in sexueller Hinsicht“, so der Gutachter. „Schon nach sechs Monaten musste er auf der Couch schlafen.“ Den Grund dafür habe er außerhalb der Beziehung vermutet. „Seine Erklärung war, sie geht fremd.“

Der Ehemann habe „wahnsinnig viel Aufmerksamkeit“ verlangt von seiner Frau, sagte Härtl. „Er war verletzt und nachtragend.“ Er sehe insgesamt zahlreiche Anzeichen dafür, dass der Angeklagte eine gewisse Persönlichkeitsstörung habe, so der Psychiater. Nach den vorliegenden Zeugenaussagen sei er auffallend kontrollierend, aggressiv, extrem eifersüchtig, dominant und übergriffig gewesen. Seine eigene Einschätzung sei dagegen, immer im Recht zu sein.

Das Ausmaß dieser Störungen reiche aber nach der Rechtsprechung bei weitem nicht aus, davon eine mögliche Einschränkung der Schuldfähigkeit abzuleiten, so Härtl. Dafür müsste eine Psychose mit einer tiefgreifenden Veränderung der Persönlichkeit vorliegen. „Dafür sehe ich keine Anzeichen.“

Richter: Besondere Schwere der Schuld möglich

Am Ende des fünften Verhandlungstags um 17.30 Uhr richtete der Vorsitzende Richter einen rechtlichen Hinweis an den Angeklagten. Für die Kammer komme eventuell auch eine Feststellung der besonderen Schwere der Schuld in Frage, sagte Markus Bader. Dies würde bei einer Verurteilung wegen Mordes bedeuten, dass der Angeklagte nicht nach 15 Jahren auf Bewährung aus der Haft entlassen werden kann.

Eine Entlassung muss dann im Einzelfall geprüft werden. Im bundesweiten Schnitt bedeutet dies derzeit eine Haftzeit von 24 Jahren, sie kann aber auch kürzer oder länger ausfallen. Der Richter wies als mögliche Begründung darauf hin, dass durch den gewaltsamen Tod der 33-Jährigen nun drei Kinder ohne ihre Mutter aufwachsen müssen. Die Verhandlung wird am Montag, 5. Dezember, um 9 Uhr fortgesetzt.


Von Manfred Blendinger
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