Nach den tödlichen Angriffen auf Kommunikationstechnik der Hisbollah-Miliz im Libanon hat deren Generalsekretär Hassan Nasrallah Israel versuchten „Völkermord“ vorgeworfen und Vergeltung angekündigt. „Innerhalb von zwei Tagen und binnen einer Minute pro Tag hat Israel darauf abgezielt, mehr als 5.000 Menschen zu töten“, sagte der Generalsekretär bei einer im Fernsehen übertragenen Rede. „Dieser kriminelle Akt kommt einer Kriegserklärung gleich“, sagte er. Israel habe alle roten Linien überschritten. Israel hat sich bislang nicht öffentlich zu den Angriffen bekannt.
„Die Bestrafung wird kommen“, sagte Nasrallah. Wann, wo und wie werde man sehen, wenn der Zeitpunkt gekommen sei. Der Hisbollah-Chef kündigte zugleich an, den Beschuss Nordisraels fortzusehen. Der „Widerstand im Libanon“ werde seine Angriffe auf Israel nicht einstellen, bevor die „Aggressionen (Israels) gegen Gaza“ aufhörten, sagte Nasrallah. Israel könne Menschen erst wieder in Sicherheit in den Norden zurückkehren lassen, wenn der Krieg in Gaza gestoppt werde.
Israel will durch militärischen und diplomatischen Druck erreichen, dass der Beschuss des Nordens aufhört und die Hisbollah sich wieder hinter den 30 Kilometer von der Grenze entfernten Litani-Fluss zurückzieht - so wie es eine UN-Resolution vorsieht. Danach sollen rund 60.000 Menschen, die sich aus der Grenzregion zum Libanon in andere Landesteile in Sicherheit bringen mussten, in ihre Häuser und Wohnungen zurückkehren können.
Der israelische Verteidigungsminister Joav Galant kündigte unterdessen an, dass Israel die Angriffe auf die Hisbollah fortsetzen werde. „Die Serie unserer Militäraktionen wird weitergehen“, sagte er nach Angaben seines Büros. „Mit der Zeit wird die Hisbollah einen wachsenden Preis zahlen.“
Nasrallah sagte weiter, es bestehe kein Zweifel, dass die Hisbollah einen schweren Schlag erlitten habe. Er sei „in der Geschichte unseres Widerstands und vielleicht in der Geschichte des Konflikts mit dem Feind beispiellos“. Der Hisbollah sei bewusst, dass Israel technologisch überlegen sei - „insbesondere weil es von den USA und dem Westen unterstützt wird.“
Mindestens 37 Menschen wurden bei den Angriffen auf Pager und Handfunkgeräte am Dienstag und Mittwoch nach Behördenangaben getötet worden. Rund 3.000 weitere wurden verletzt. Nasrallah, wie auch Militär- und Geheimdienstexperten, sehen Israel als Drahtzieher hinter den Explosionen.
Während Nasrallahs Rede im Fernsehen lief, ging der gegenseitige Beschuss an der israelisch-libanesischen Grenze unvermindert weiter. Zwei israelische Soldaten wurden bei Angriffen aus dem nördlichen Nachbarland getötet. Die israelische Armee teilte mit, ein 20 Jahre alter Soldat und ein 43 Jahre alter Reservist seien im Norden des Landes gefallen.
Die „Times of Israel“ berichtete, der Reservist sei im Westen von Galiläa durch eine mit Sprengstoff beladene Drohne der libanesischen Hisbollah-Miliz getötet worden. Der jüngere Soldat sei bei einem Angriff der Hisbollah mit zwei Panzerabwehrraketen an der Nordgrenze Israels zu Tode gekommen. Acht weitere Soldaten seien bei dem Angriff verletzt worden, einer davon schwer.
Die Hisbollah greift seit Beginn des Gaza-Kriegs vor fast einem Jahr Ziele in Israel an, nach eigener Aussage aus Solidarität mit der islamistischen Hamas. Sie will die Angriffe erst bei einer Waffenruhe zwischen der Hamas und Israel einstellen. Der fast tägliche Beschuss hat sich zu einem niedrigschwelligen Krieg entwickelt. Im Libanon wurden etwa 600 Menschen getötet, die meisten davon Hisbollah-Mitglieder. In Israel kamen offiziellen Angaben zufolge 48 Menschen durch die Angriffe der schiitischen Miliz ums Leben, darunter Soldaten, aber auch viele Zivilisten.
Der israelische Generalstabschef Herzi Halevi genehmigte nach Militärangaben Pläne „für die Fortsetzung des Kriegs“ an der nördlichen Front. Genauere Details nannte die Armee nicht. Es war lediglich die Rede von „Plänen für die nördliche Arena“, mit Blick auf das Nachbarland Libanon.
Halevi hatte bereits am Mittwoch gesagt, Israel sei sehr entschlossen, sichere Bedingungen für die Rückkehr von rund 60.000 israelischen Einwohnern in das Grenzgebiet zum Libanon zu schaffen. „Wir haben noch viele Fähigkeiten, die wir bislang noch nicht eingesetzt haben“, so Halevi. Man habe bereits Pläne für die nächsten Phasen.
Auch der Lufthansa-Konzern reagierte erneut auf die sich zuspitzende Lage in der Region und verlängerte ihren Flugstopp von und nach Israel und Iran. Bis einschließlich Dienstag (24. September) würden die Flüge nach Tel Aviv und in die iranische Hauptstadt Teheran gestrichen, teilte das Unternehmen mit. Der israelische und iranische Luftraum sollen bis dahin umflogen werden. Auch die Flüge in die libanesische Hauptstadt Beirut werden länger als bisher geplant ausgesetzt, nämlich bis einschließlich 26. Oktober.
© dpa-infocom, dpa:240919-930-236718/6