Jonas Vingegaard lag minutenlang neben einem Betongraben reglos auf dem Boden, bevor er auf einer Trage in einen Krankenwagen gebracht wurde. Wenige Meter weiter hielt sich Remco Evenepoel das Schlüsselbein und Primoz Roglic humpelte mit schmerzverzerrtem Gesicht über den Asphalt. Bei einem dramatischen Sturz auf der vierten Etappe der Baskenland-Rundfahrt haben sich die drei Radstars, die im Juli allesamt bei der Tour de France um den Gesamtsieg kämpfen wollen, neben weiteren Fahrern schwerer verletzt.
Die größten Sorgen bereiteten die Bilder von Tour-Champion Vingegaard. Der Däne rauschte in der Rechtskurve nahezu ungebremst in den Graben. Vingegaard sei auf dem Weg ins Krankenhaus, teilte sein Visma-Team zunächst mit. Laut Sportdirektor Frans Maassen sei Vingegaard aber bei Bewusstsein. Am Abend gab der Rennstall die Untersuchungsergebnisse des Dänen bekannt. Demnach erlitt der 27-Jährige einen Schlüsselbeinbruch sowie mehrere Rippenbrüche. Er bleibe vorsorglich zur Beobachtung im Krankenhaus, teilte das Team auf X, ehemals Twitter, mit. „Es war ein schlimmer Unfall, aber glücklicherweise ist er stabil und bei Bewusstsein“, hieß es.
Auch Evenepoel wurde ins Krankenhaus gebracht. Der belgische Zeitfahr-Weltmeister hatte den Graben erst noch geschickt umkurvt, war dann aber auf dem Rasen zu Fall gekommen. Evenepoel brach sich das Schlüsselbein. Wie dessen Rennstall Soudal Quick-Step mitteilte, erlitt der Belgier außerdem eine Fraktur des Schulterblatts. Er werde heute nach Belgien zurückkehren und sich dort einer Operation unterziehen. Im Krankenhaus in Herentals würden zudem weitere medizinische Untersuchungen durchgeführt.
Giro-Sieger Roglic, der im Gelben Trikot unterwegs war, konnte immerhin im Teamwagen des deutschen Bora-hansgrohe-Rennstalls die Unfallstelle verlassen. Bei der Abfahrt hob er den Daumen. Der Slowene war erst am Mittwoch in einen Sturz verwickelt gewesen. Am Abend gab sein Team Entwarnung: Bei Untersuchungen im Krankenhaus seien bei Roglic keine Knochenbrüche festgestellt worden.
Der Crash ereignete sich rund 35 Kilometer vor dem Ziel in Legutio in einer Rechtskurve. Als Erster war Natnael Tesfatsion aus Eritrea weggerutscht, danach stürzten rund ein Dutzend weitere Fahrer. Der Eritreer wurde ebenfalls in ein Krankenhaus gebracht. Dort wurden zahlreiche Prellungen und Abschürfungen, aber zunächst weder Knochenbrüche noch eine Gehirnerschütterung festgestellt, hieß es von seinem Team.
Neben Vingegaard und den Top-Fahrern hatte es auch den Australier Jay Vine schlimmer erwischt. Der Radprofi sei aber bei Bewusstsein, teilte sein UAE-Team mit. Bei dem 28-Jährigen wurden ein Halswirbelbruch und zwei Brüche der Brustwirbelsäule diagnostiziert. „Glücklicherweise sind keine neurologischen Probleme aufgetreten und es gibt keine weiteren schweren Verletzungen oder Schädelverletzungen“, hieß es in einer Mitteilung des Teams. Vine werde zur neurologischen Beobachtung im Krankenhaus bleiben und man warte auf die orthopädische Beurteilung der Wirbelsäule sowie die weitere Behandlung.
Das Rennen wurde anschließend neutralisiert, die restlichen Fahrer fuhren im langsamen Tempo Richtung Ziel. Dem verbliebenen Peloton war der Kampf um den Etappensieg freigestellt worden. Dieser hatte aber keinen Einfluss auf die Gesamtwertung. Den fürs Klassement unerheblichen Etappenerfolg sicherte sich der Südafrikaner Luis Meintjes.
Die Baskenland-Rundfahrt nutzen viele Fahrer als Vorbereitung auf die großen Rundfahrten im Sommer. Von den besten Rundfahrern der Welt war lediglich der zweimalige Tour-Sieger Tadej Pogacar nicht am Start.
Damit wurde der Radsport nur rund eine Woche nach dem schweren Sturz des belgischen Stars Wout van Aert wieder von einem schlimmen Crash überschattet. Der Belgier hatte beim Halbklassiker Quer durch Flandern Ende März mehrere Rippenbrüche und einen Schlüsselbeinbruch erlitten. Van Aert wird wochenlang ausfallen.
Dazu schockte ein Trainingsunfall des deutschen Hoffnungsträgers Lennard Kämna am Mittwoch auf Teneriffa das deutsche Bora-Team. Der 27 Jahre alte Bremer erlitt dabei zahlreiche Verletzungen, befinde sich aber in stabilem Zustand, hatte sein Rennstall mitgeteilt. „Er ist wach, ansprechbar und kann kommunizieren. (...) Er wird im Krankenhaus auf Teneriffa sehr gut versorgt und wird in den kommenden Tagen auf der Intensivstation überwacht. Mitglieder der Familie sowie des Teams sind bei ihm“, hieß es weiter. Nach Angaben des deutschen Rennstalls habe ein entgegenkommendes Fahrzeug beim Abbiegen Kämna die Vorfahrt genommen.
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