Die letzten Kraftanstrengungen der deutschen Skirennfahrer verpufften. Der Saisonabschluss in Andorra gehörte allein dem Schweizer Marco Odermatt. Der beste Alpin-Athlet der Gegenwart hievte sich mit seinem 13. Sieg in diesem Winter in im Männer-Weltcup bislang unbekannte Sphären. Im Riesenslalom von Soldeu schraubte der 25-Jährige die legendäre Bestmarke im Gesamtweltcup von Ikone Hermann Maier um 42 Punkte auf 2042 Zähler nach oben. Odermatt veredelte eine Saison, die mit zwei WM-Goldmedaillen und 22 Weltcup-Podien eigentlich schon ausreichend geglänzt hatte.
Beeindruckend? Unglaublich? Für Odermatts Leistungen fehlen schlicht die Superlative. Eine vergleichbare Konstanz auf Top-Niveau sucht der Deutsche Skiverband in seinen Reihen vergeblich. Ja, mit elf Weltcup-Podestplätzen, WM-Gold von Alex Schmid und Bronze von Lena Dürr trumpfte auch der DSV in diesem Winter auf. „Aber man muss die Saison ganzheitlich betrachten“, mahnte Alpindirektor Wolfgang Maier. Ein Winterfazit:
Die Erfolgreiche: Erster Weltcup-Sieg, dazu drei weitere Podestplätze und Bronze bei der WM. Slalomfahrerin Lena Dürr war die beste Deutsche in diesem Winter. Selbst der 14. Platz im Saisonfinale schmälerte die Leistung der Münchnerin kaum. „Ich bin mittlerweile selbstsicher und weiß, was zu tun ist“, sagte sie über ihre neue Lockerheit. An's Aufhören denkt die 31-Jährige noch nicht. Schließlich kann Dürr an einem perfekten Tag mittlerweile sogar die erfolgreichste Skirennfahrerin der Historie, Mikaela Shiffrin, besiegen.
Die Anfälligen: Mit jeweils zwei Podestfahrten gehörten Abfahrerin Kira Weidle und Slalom-Spezialist Linus Straßer zu den besten deutschen Skirennfahrern des Winters. Aber: Es wäre deutlich mehr drin gewesen. Zwischen die Top-Fahrten reihten sich immer wieder fehlerhafte Läufe, die einen Podiumsplatz kosteten. „Ich dachte, Linus macht dieses Jahr den nächsten Schritt. Es fehlt diese Konstanz auf's Podium“, bemängelte Ex-Skirennläufer Felix Neureuther. Beim Saisonfinale am Sonntag erwischte Straßer mal wieder einen schlechteren Tag und belegte Platz 16.
Die Schnellen: Als schon alles nach einer verkorksten Speed-Saison aussah, legte Andreas Sander einen unerwarteten Endspurt hin. In Aspen feierte der Wahl-Allgäuer Anfang März als Zweiter sein erstes Weltcup-Podest, im Abfahrtsfinale von Andorra legte er mit Platz drei nach. Beflügelt vom Höhenflug seines Teamkollegen raste Romed Baumann in Soldeu sogar auf Rang zwei. Ausnahmen oder der neue Speed-Aufschwung? Entscheidend wird dabei auch die Form des verletzungsanfälligen Thomas Dreßen sein.
Der Beständige: Auf Alexander Schmid war Verlass. In fünf von sieben Riesenslaloms fuhr der Allgäuer unter die besten Zehn. Bei der WM in Frankreich gelang dem 28-Jährigen mit Gold im Parallelrennen der ganz große Coup. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere stoppte den Techniker dann Anfang März ein Kreuzbandriss. „Ich werde zurückkommen“, kündigte Schmid an. Aber wie stark? Für mehr Podien braucht Schmid mehr Biss.
Das Sorgenkind: Kein einziger Weltcuppunkt im Riesenslalom der Damen! Seit dem Rücktritt von Viktoria Rebensburg 2020 existiert Deutschland in der alpinen Basisdisziplin quasi nicht. „Wir schaffen nicht mal Athleten, die in der erweiterten Weltspitze mitfahren“, sagte Maier. Die Damen seien im Riesenslalom nicht konkurrenzfähig. Aus dem Nachwuchsbereich kommt keiner nach. Auch im nächsten Winter wird sich die Riesenslalom-Misere fortsetzen.
Die Zukunftshoffnung: Als einzige DSV-Athletin sammelte Emma Aicher (19) Weltcuppunkte in den Speed- und Technikdisziplinen. „Sie ist die größte deutsche Zukunftshoffnung“, sagte Ex-Skirennfahrerin Maria Höfl-Riesch. Noch fehlt Aicher die Routine, um konstant auf Top-Niveau zu fahren. Auch beim Slalom-Finale in Andorra schied sie erneut nach einem Fahrfehler aus. Dennoch: Mit der Teenagerin ist nächsten Winter zu rechnen.
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