Inmitten von Warnungen vor einem angeblich von der Ukraine geplanten Einsatz einer radioaktiven Bombe hat die Atommacht Russland erstmals während des Angriffskriegs ihre strategischen Waffen getestet. Zu Beginn des mehrtägigen Manövers schossen die Atomstreitkräfte am Mittwoch nach russischen Militärangaben Interkontinentalraketen ab. Auch seien zwei Langstreckenbomber im Einsatz gewesen, die nuklear bestückt werden können.
Der russische Präsident Wladimir Putin beschuldigte die Ukraine nach Tagen ähnlich klingender Behauptungen seitens der russischen Führung unterdessen selbst, den Einsatz einer „schmutzigen Bombe“ zu planen. Moskau hat für die Vorwürfe keine Beweise vorgelegt. Die Ukraine und westliche Staaten wiesen sie zurück.
Eine „schmutzige Bombe“ besteht aus radioaktivem Material, das mit konventionellem Sprengstoff freigesetzt wird. Im Unterschied zu einer Atombombe kommt es zu keiner nuklearen Kettenreaktion. Russland hat sich mit den Vorwürfen den Verdacht eingehandelt, selbst den Einsatz einer solchen Bombe in der Ukraine vorzubereiten.
In den vergangenen Tagen hatte der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu die Behauptung unter Amtskollegen verbreitet. Wegen der angeblichen Nuklearpläne der Ukraine telefonierte er am Mittwoch mit den Verteidigungsministern Chinas und Indiens. Der indische Ressortchef Rajnath Singh ermahnte Schoigu, keine Seite dürfe im Konflikt in der Ukraine eine Atombombe einsetzen. Dies verstoße gegen den Grundsatz der Menschlichkeit, teilte das Verteidigungsministerium in Neu Delhi mit. Am Wochenende hatte Schoigu bereits mit seinen Amtskollegen in den USA, Großbritannien, Frankreich und der Türkei telefoniert, die seine Vorwürfe gegen die Ukraine zurückwiesen.
Die Ukraine sieht die Anschuldigungen als Teil einer Desinformationskampagne des russischen Präsidenten gegen das angegriffene Land. Der Chef des ukrainischen Präsidentenbüros, Andrij Jermak, wies die Vorwürfe am Mittwoch erneut als unbegründet zurück. Er teilte mit, die Ukraine sei bereit, Experten der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) Zugang zu gewähren, damit sie sich von der Haltlosigkeit der Anschuldigungen überzeugen könnten.
US-Präsident Joe Biden warnte Moskau erneut mit deutlichen Worten vor dem Einsatz von Nuklearwaffen. „Russland würde einen unglaublich schweren Fehler begehen, wenn es taktische Atomwaffen einsetzen würde“, sagte Biden am Dienstag auf die Frage, ob Russland den Einsatz einer nuklear verseuchten Bombe oder von Atomwaffen vorbereite. „Ich kann nicht garantieren, dass es eine Operation unter falscher Flagge ist“, so Biden weiter mit Blick auf Russlands Behauptungen, die Ukraine plane die Zündung einer schmutzigen Bombe und wolle diese dann Russland anlasten. „Ich weiß es nicht, aber es wäre ein schwerer, schwerer Fehler.“
Russland hatte in diesem Jahr wenige Tage vor dem Angriff auf die Ukraine am 24. Februar das letzte Mal die Einsatzbereitschaft seiner Atomstreitkräfte getestet. Damit werde ein atomarer Gegenschlag nach dem Nuklearangriff eines Feindes geübt, berichtete Verteidigungsminister Schoigu Kremlchef Putin. Das mehrtägige Manöver war erwartet worden und löste trotz der internationalen Spannungen wegen des russischen Angriffskriegs keine Besorgnis bei westlichen Militärs aus.
Die russischen Manöver der Nuklearstreitkräfte finden regelmäßig im Oktober statt, 2021 waren sie aber ausgefallen. In diesem Jahr gelten die entsprechenden Warnhinweise an die internationale Luft- und Seefahrt noch bis zum Samstag.
Russlands Präsident überzog die USA am Mittwoch mit schweren Vorwürfen. Diese würden die Ukraine steuern und als „Rammbock“ gegen sein Land und den postsowjetischen Raum instrumentalisieren. Bei einer Sitzung von Vertretern der staatlichen Sicherheitsorgane der Länder der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) sagte Putin zudem, die USA rüsteten die Ukraine immer mehr mit schweren Waffen aus und ignorierten dabei, dass das Land nach einer Atombombe strebe.
Gegen Putins Krieg gegen die Ukraine sind in Russland nach Erkenntnissen von Geheimdiensten auch Schienenpartisanen aktiv. Diese hätten in den vergangenen Monaten wiederholt das Schienennetz im eigenen Land sabotiert, hieß es am Mittwoch im täglichen Kurzbericht des britischen Verteidigungsministeriums. Die Beschädigung einer Bahnstrecke nahe eines Dorfes unweit der russisch-belarussischen Grenze Anfang dieser Woche sei der sechste Akt seit Juni gewesen, zu dem sich eine russische Anti-Kriegs-Gruppe namens „Stop the Wagons“ bekannt habe. Unklar ist, wer die Organisatoren sind.
Russland transportiert Panzer und anderes schweres Kampfgerät, Munition und Treibstoff mit Güterwaggons in das Kriegsgebiet. Das wollen die Schienenpartisanen verhindern, wie sie auf ihrer Internetseite und auf einem Telegram-Kanal, der mehr als 9000 Abonnenten hat, schreiben. Aufgerufen wird zur aktiven Teilnahme am Widerstand gegen den Krieg, in dem etwa Gleise durch die Verlegung von Drähten blockiert werden sollen.
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