„Man sollte sie alle zum Teufel jagen, am besten die Grenzen dichtmachen! Die Engländer und die Deutschen sind die schlimmsten, die machen uns das Leben zur Hölle hier“, schimpft mit wutverzerrtem Gesicht die Frau in den Achtzigern, die nahe des Park Güell in Barcelona mühsam ihre Einkaufstüten nach Hause schleppt.
Kurz zuvor hatte sie eine Gruppe junger Touristen beschimpft, die ihr auf dem engen Bürgersteig keinen Platz gemacht hatten. Im Café stimmt ein älterer Herr der Rentnerin zu. Unter dem Johlen seiner Freunde ruft er: „Von meinem Balkon spucke ich auf das Gesindel.“
Nicht alle äußern ihren Zorn so drastisch - aber in diesem Sommer ist es schwer, in Barcelona einen Einheimischen zu finden, der den stetig wachsenden Tourismus nicht satthat. Das Wort „Turismofobia“ (Tourismusphobie) macht in Spanien - dem beliebtesten ausländischen Reiseziel der Deutschen - immer mehr die Runde. Nicht nur in Barcelona und ganz Katalonien, auch auf Mallorca, in Galicien oder auf den Kanaren wird die Ablehnung des Massentourismus immer offener und auch schon mal gewalttätig zur Schau getragen.
Vielerorts gibt es Protestkundgebungen der Anwohner. Aber nicht nur. Man lässt sich auch spektakuläre Aktionen einfallen. Etwa auf Mallorca, wo eine Aktivistengruppe namens Caterva an der Ostküste ausländische Touristen im August von den Stränden zu verscheuchen versuchte, in dem sie täuschend echt aussehende Hinweisschilder aufstellte, auf denen auf Englisch ein Badeverbot mitgeteilt oder vor „gefährlichen Quallen“ oder Steinschlag gewarnt wurde. Alles natürlich falsch und erfunden. Man müsse gegen die „Enteignung“ der Strände durch die Urlauber vorgehen, erklärte die Gruppe später.
Davor hatten in Barcelona Anwohner des Viertels El Carmel unweit vom Park Güell jene Schilder, die den Weg zu den alten Bunkern auf dem Hügel Turó de la Rovira anzeigen, einfach umgedreht, um Fremde in die Irre zu führen. Der Aussichtspunkt, der einen der besten Panoramablicke auf die Stadt bietet, war in den vergangenen Jahren zu einem Hotspot für Sonnenuntergangs- und Picknickfans, aber auch für Tiktoker, Instagramer und Sauftouristen geworden, die sich dort abends auch zu lauter DJ-Musik zu Tausenden versammelten. Medien berichteten von handfesten Auseinandersetzungen zwischen Anwohnern und Touristen. Wegen der zunehmenden Spannungen beschloss die Stadt im Mai eine Schließung der Anlagen zwischen 19.30 und 9.00 Uhr morgens. Laut Nachbarn wird der Beschluss aber ständig missachtet.
Zurück zum Park Güell. Obwohl der Besuch der einzigartigen Kreation des Modernisme-Architekten Antoni Gaudí seit 2013 kostenpflichtig und mit zehn Euro nicht billig ist, ist sie neben der Basilika Sagrada Familia weiter die meistbesuchte Attraktion Barcelonas. Carina wohnt mit ihrem erwachsenen Sohn nur ein paar Straßen entfernt, und erzählt, dass „das Chaos immer schlimmer wird“.
„Es ist der Lärm, der Schmutz. Aber nicht nur hier. Ich habe die ganze Stadt noch nie so schmutzig gesehen. Und dann das schlechte Benehmen der Touristen. Vor unserer Haustür sitzen immer Leute und versperren den Weg“, erzählt die Frau, die gerade mit aufgesetztem Motorradhelm auf dem Weg zur Arbeit im Krankenhaus ist, der Deutschen Presse-Agentur. Carina hofft auf Besserung. Anders als Sandra. Die junge Juwelendesignerin hat das Handtuch geworfen. Sie verkauft ihr Haus und zieht mit ihrem Partner weg. Wohin? „Ich weiß es noch nicht, an einen ruhigen Strand vielleicht. Inzwischen aber leidet die ganze Stadt (unter dem Massentourismus), glaube ich.“
Nirgendwo ist der Verdruss in Barcelona aber wohl so unübersehbar wie in Vila de Gràcia. Wenn man durch die schmalen Gassen des Künstlerviertels spaziert, sieht man sie inzwischen fast überall. An Wänden, Garagentoren, Hinweistafeln und Denkmälern prangt in großen Lettern die Aufforderung: „TOURISTS GO HOME“. Die Graffiti tauchen fast an jeder zweiten Straßenecke auf. „So viele wie noch nie“, stellte jüngst der staatliche TV-Sender RTVE fest. Sprüche gegen Tourismus sind dort aber auch auf kleinen gelben Aufklebern und auf großen Bannern zu sehen. Eine kleine radikale Minderheit, mag der uneingeweihte Besucher denken. Mitnichten! „Wir alle denken gleich“, versichert Ester vom Nachbarschaftsverband Verdi del Mig.
Während die Frau mit dem kurzen grauen Haar die Vorbereitungen für das Stadtteilfest unterbricht, um mit dem Journalisten zu sprechen, kommen immer mehr Menschen zusammen, um ihrem Unmut Luft zu machen. „Wir können beim Fest nicht mehr wie früher auf der Straße tanzen“, „Es wird hier nur noch Englisch gesprochen“ oder „Wir sind Fremde im eigenen Haus“, ist unter anderem zu hören. Eine junge Frau klagt: „Viele Besucher betrinken sich und werden übergriffig“. Fast im Sekundentakt gehen Touristen an der aufgeregten Gruppe vorbei, ohne mitzukriegen, dass sie das Thema des hitzigen Gesprächs sind.
In Barcelona, aber sogar in Santiago de Compostela, dem Ziel der vermeintlich frommen Jakobspilger in Galicien, häufen sich die Klagen über Besucher, die nicht nur im besten Ballermann-Stil bis frühmorgens betrunken und grölend durch die Straßen ziehen, sondern auch im Freien schlafen und ihre Notdurft verrichten.
Politik und Wirtschaft sind sich der Dimension des Problems bewusst und spielen es nicht herunter - auch wenn die Meinungen bezüglich Gründe und Lösungen auseinandergehen. „Die Tourismusphobie auf den Kanaren wird langsam besorgniserregend“, meinte dieser Tage die neue regionale Tourismusministerin Jessica de León. Die Polemik werde aber auch von interessierter Seite genährt, behauptet sie. Der in Barcelona für Wirtschaftsförderung zuständige Stadtrat Jordi Valls räumte im Interview der Zeitung „La Vanguardia“ derweil unumwunden ein: „Gibt's eine Grenze für den Tourismus in Barcelona? Ja, die gibt es. Haben wir diese Grenze erreicht? Wahrscheinlich.“
Eines steht fest: Von alleine wird sich die Lage nicht entspannen. Spanien steht dieses Jahr nach Schätzung zuständiger Stellen vor einem neuen Rekordjahr mit so vielen ausländischen Besuchern wie noch nie zuvor. 85 Millionen werden erwartet - 1,3 Millionen über dem vor Pandemieausbruch im Jahr 2019 verzeichneten Höchstwert. Der Sektor macht in Spanien zwölf Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus, auf den Kanaren oder den Balearen sogar circa einen Drittel.
Da können auch diejenigen, die von den hohen Zahlen profitieren, nicht die Augen vor der Realität verschließen. Klartext spricht vor allem der Präsident des Hotelierverbandes der Playa de Palma auf Mallorca mit dem berühmten Ballermann, Pedro Marín: „Es ist nicht akzeptabel, dass die Anwohner Angst haben, hier spazieren zu gehen“, sagte Marín der Zeitung „Última Hora“. „In diesem Sommer gab es Vergewaltigungen, Messerstechereien, Diebstähle, Drogen ... ein Desaster.“ Der Hotelier versichert, er und seine Kollegen bemühten sich darum, „einigermaßen gute Touristen“ auf die Insel zu holen. Nötig seien aber auch mehr Polizei und mehr „harte Hand“. Die wütende Rentnerin vom Park Güell wird ihm sicher zustimmen.
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