Am Tag nach der Revolte bemüht sich Bayerns SPD-Chef Florian von Brunn um Gelassenheit. Obwohl es noch keine 24 Stunden her ist, dass ihm die Mehrheit der SPD-Landtagsabgeordneten das Vertrauen als Fraktionschef entzogen hat, ist seine Stimme ruhig und kontrolliert. So kontrolliert, als gehe es nicht um seine politische Zukunft - und die der einst stolzen SPD - sondern um irgendein x-beliebiges Thema.
Doch hinter von Brunns Kernbotschaft - „werde am nächsten Dienstag nicht wieder als Fraktionsvorsitzender kandidieren - verbirgt sich nichts anderes als der nächste große personelle Neuanfang in Bayerns SPD. Wenn man so will, schlittert die Partei geradewegs von einer existenziellen Krise in eine noch größere.
Und damit nicht genug: Auf Nachfrage erklärt von Brunn, dass er bis jetzt nicht entschieden habe, ob er auch seinen Posten als Landeschef aufgeben werde. Zugleich erklärt er aber auch, dass aus seiner Sicht beide Führungsämter in der SPD zwingend in die Hand einer Person gehörten. Zwar erklärt er später noch, dass diese Entscheidung keine vier Wochen auf sich warten lassen oder gar zur Hängepartie werden dürfe - letztlich verschiebt von Brunn aber damit die noch wichtigere Zukunftsentscheidung der SPD ins Ungewisse.
Keine Frage - die seit vielen Jahren in der Krise steckende SPD in Bayern hat nach den Wahlergebnissen von 2018 (9,7 Prozent) und 2023 (8,4 Prozent) schon lange keine Substanz mehr, um die bei Wählern unliebsamen Personaldebatten unbeschadet zu überstehen. Auch wegen der historisch schlechten Stimmung zur SPD-Politik im Bund steht die Partei im Freistaat mit dem Rücken an der Wand und droht endgültig in der politischen Bedeutungslosigkeit zu verschwinden.
Zwar sind Sozialdemokraten in Bayern auf Landesebene schon lange alles andere als erfolgsverwöhnt, doch so tief wie die Partei aktuell in der Gunst der Wähler gefallen ist, ist es schon bemerkenswert. Gerade einmal 17 Abgeordnete hat die Fraktion im Landtag noch, damit ist sie mit weitem Abstand die kleinste im Maximilianeum. An dieser Stelle ist von Brunn sicher in der Verantwortung - immerhin hatte er als Spitzenkandidat die Kampagne der vergangenen Landtagswahl zu verantworten - doch verloren wurde auch diese Wahl mindestens ebenso in Berlin. „Es ist ja unbestritten, dass sich die Situation im Bund massiv auch auf Bayern auswirkt“, nennt von Brunn es.
Sollte - und davon ist auszugehen - in wenigen Tagen oder Wochen die Entscheidung fallen, dass die SPD nur drei Jahre nach von Brunns Wahl in Bayern auch einen neuen Landeschef oder eine neue Doppelspitze benötigt, wird viel Kreativität gefragt sein. Im Personaltableau auf Landesebene gibt es im Grunde niemanden, der sich durch seine Arbeit oder Popularität als Kandidat aufdrängt, das Gleiche gilt für die Bundes- und die Europaebene. Einzig in der Kommunalpolitik kann die SPD in Bayern noch Personen aufweisen, denen der so dringend nötige Neuaufbruch zuzutrauen ist - etwa Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter.
Dass die amtierende Co-Vorsitzende Ronja Endres das Amt alleine weiterführt, dürfte ausgeschlossen sein. Sie ist in der Partei auch alles andere als unumstritten und konnte sich nicht mal bei der Nominierung der Plätze für die Europawahl durchsetzen.
Wie dünn die Personaldecke in der SPD ist, zeigt sich auch in der Frage, wer neuer Fraktionschef werden könnte - auch ein Amt, bei dem eine mindestens gewisse Bekanntheit von Bedeutung ist: Als bisher einziger Interessent kündigte der bisherige Fraktionsvize Holger Grießhammer an, kandidieren zu wollen, wie er den Zeitungen der Mediengruppe Bayern sagte. Grießhammer ist noch kein Jahr Mitglied der Fraktion. Er werde alles dafür tun, „dass die Bayern-SPD wieder zweistellig wird“, sagte er. Das Amt des SPD-Landeschefs strebe er aber nicht an. Zur Erinnerung: Auch von Brunn hatte mal das Wahlziel 15 Prozent plus X als Ziel genannt.
Als sei die personelle Misere der SPD nicht schon schwierig genug, muss sie sich nun auch mit der Aufarbeitung einer internen Angelegenheit herumärgern, die dank der Revolte jetzt auch öffentlich ist: Ein leitender Fraktionsmitarbeiter soll sich gegen die Regeln selbst mehrere 10.000 Euro für Überstunden ausgezahlt haben. Der Fall - so von Brunn - müsse „komplett und transparent“ aufgeklärt werden - samt aller zivilrechtlicher und strafrechtlicher Schlussfolgerungen. Optimistische Stimmen sind in der SPD an diesem Tage kaum zu hören - wenn klingen sie so: „Es kann eigentlich nicht schlimmer werden.“
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