Mit dem übermächtigen Johannes Thingnes Bö beschäftigen sich die deutschen Biathleten kaum noch. „In meiner Welt klammere ich ihn wirklich aus. Es ist noch mal eine andere Liga“, sagte Roman Rees über den besten Skijäger der Welt.
Mit drei Titeln nach drei Rennen kann der 29-jährige Norweger in Oberhof Historisches schaffen und als Erster seiner Zunft siebenmal Gold bei einer WM gewinnen. Ihn selbst scheint das am wenigsten zu interessieren, er träumt von anderen Dingen. „Mein Traum ist, eine schöne Frau und einen netten Sohn zu haben, das habe ich. Mir geht's gut“, sagte Bö.
Vor 23.500 Zuschauern hatte der nun 15-malige Weltmeister am Sonntag sogar noch Zeit, den Jubel seines Landsmanns Erling Haaland nachzuahmen. Er stoppte mit viel Vorsprung vor der Ziellinie, ging auf ein Knie und zeigte auf die Fans. „Ich bin sicher nicht so berühmt wie er, aber vielleicht eine gute Nummer zwei“, sagte Bö und lachte. Zum international gefeierten Fußball-Superstar von Manchester City schaut Bö („ich mag ihn schon immer“) auf, in der Biathlon-Szene ist der fünfmalige Olympiasieger selbst der Haaland. „Johannes ist ein Alien, er ist in einer anderen Liga“, sagte sein Teamkollege Sturla Holm Laegreid.
Nun ist es vor dem WM-Einzel am Dienstag (14.30 Uhr/ZDF und Eurosport) aber so, dass die Norweger insgesamt wie Außerirdische wirken. Nach Gold in der Mixed-Staffel gingen fünf von sechs Medaillen bei den Männern an sie. „Sie hatten fünf unter den Top Sieben, das ist schon kritisch“, sagte Rees zur Verfolgung. Vor der WM forderte er: „Wichtig für uns als deutsches Team ist, zumindest in den Anschlussbereichen mit Schweden und Frankreich einfach konkurrenzfähig zu sein und die im Zweifel auch mal im Griff zu haben.“
Johannes Kühn schaffte es als bester Deutscher mit den Plätzen acht (Sprint) und sechs (Verfolgung) zwar nah heran, doch Medaillen sind nur möglich, wenn zumindest ein Teil der Norweger versagt. Woher deren Stärke kommt? „Wer auch immer bei uns eine Chance haben will, muss unglaublich gut sein, sonst schafft er es nicht“, sagte Tarjei Bö der Deutschen Presse-Agentur: „Jeder weiß, dass er viel opfern muss und am Ende haben wir sehr viele gute Athleten.“ Viele große Talente schaffen es nicht ins Weltcup-Team. Auch in Oberhof müssen zwei von sechs in der Staffel zuschauen, die in jedem anderen Land gesetzt wären.
„Die Kultur in Norwegen ist gerade sehr gut für Biathlon“, sagt Tarjei Bö, der Silber im Sprint holte und sich nur seinem jüngeren Bruder geschlagen geben musste. Es sei ein „absolutes Luxus-Problem. Wir haben zehn Leute, die im Weltcup mitmachen können und es in die Top Ten schaffen würden, einige könnten immer gewinnen.“ Zum Glück für den Rest dürfen maximal sechs Starter einer Nation antreten. „Im Skilanglauf haben wir dieses „Problem” in Norwegen schon länger - und jetzt ist es im Biathlon genauso“, sagte Bö zur Talent-Fülle.
In Deutschland kann man von diesen Verhältnissen nur träumen. „In Norwegen beginnt man mit vier Jahren mit dem Skilaufen, das ist ein Teil des Lebensstils“, erklärte Sverre Olsbu Röiseland. Der 32-Jährige ist seit dieser Saison Co-Trainer des deutschen Frauenteams, er kennt die Verhältnisse in seiner norwegischen Heimat bestens, hält aber nicht alles für perfekt. Mit dem richtigen Plan und guten Trainern könnte man auch aus einer kleineren Auswahl Weltklasse-Athleten formen. „Es gibt keinen Grund, warum wir in Deutschland nicht wieder die beste Nation sein können“, sagte der Ehemann von Marte Olsbu Röiseland, die in der Verfolgung am Sonntag mit Bronze ihre erste WM-Medaille am Rennsteig holte.
Die 32 Jahre alte Röiseland gewann 2020 als erste Biathletin überhaupt sieben Medaillen in sieben WM-Rennen, nur golden glänzten sie eben nicht alle. Ob Bö das nun schaffen kann? „Ich glaube nicht, dass er jemals so gut war wie jetzt“, sagte Ole Einar Björndalen. Der 49-Jährige ist mit 20 Titeln noch Rekordweltmeister, Bö könnte bereits in Thüringen bis auf ein Gold herankommen und dürfte dann in den nächsten Jahren zum erfolgreichsten Skijäger der Geschichte werden. „Wir wollen Gold in der Männerstaffel“, sagte Bö. Mit dem Titel im Single-Mixed „wird es sehr schwer, genau wie im Einzel oder Massenstart“, sagte er.
Das weiß auch Cheftrainer Siegfried Mazet. Der Franzose machte einst Martin Fourcade zur Nummer eins der Welt, bevor er 2016 überraschend nach Norwegen wechselte und dort ein Team formte, das nun seinesgleichen sucht. Die Bös, Laegreid, Vetle Christiansen oder Johannes Dale sind bei jedem Start für den Sieg gut. „Wir versuchen, fokussiert zu bleiben und müssen die Konzentration hochhalten“, sagte Mazet der dpa und ergänzte zu Bö: „In seiner Form kann er noch mehrmals mal Gold holen, wir werden das versuchen.“
© dpa-infocom, dpa:230213-99-574414/3