Mordprozess: Nächtliche Hilferufe in Bad Windsheim | FLZ.de

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Veröffentlicht am 03.12.2022 06:30

Mordprozess: Nächtliche Hilferufe in Bad Windsheim

Rechtsanwalt Benjamin Schmitt will mehr wissen über einen Angriff auf das spätere Opfer drei Jahre vor der Tat. Oberstaatsanwalt Dr. Roland Fleury (links) vertritt im Mordprozess die Anklage. (Foto: Manfred Blendinger)
Rechtsanwalt Benjamin Schmitt will mehr wissen über einen Angriff auf das spätere Opfer drei Jahre vor der Tat. Oberstaatsanwalt Dr. Roland Fleury (links) vertritt im Mordprozess die Anklage. (Foto: Manfred Blendinger)
Rechtsanwalt Benjamin Schmitt will mehr wissen über einen Angriff auf das spätere Opfer drei Jahre vor der Tat. Oberstaatsanwalt Dr. Roland Fleury (links) vertritt im Mordprozess die Anklage. (Foto: Manfred Blendinger)

Ein 43-Jähriger aus Bad Windsheim steht vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth. Ihm wird die Ermordung seiner früheren Ehefrau vorgeworfen. „Es war nicht das erste Mal, dass er versucht hat, sie umzubringen“, sagt die Schwester der getöteten 33-Jährigen. Ein früherer Nachbar sah schon vor drei Jahren ihr Leben in Gefahr.

Am 17. Juli 2019 schreckt in der Bad Windsheimer Altstadt ein Pensionär nachts aus dem Schlaf. „Ich bin aufgewacht von Hilfeschreien“, sagt der 62-Jährige im Prozess. Er zögert keine Sekunde. „Ich hatte nur eine Unterhose an, bin aber so schnell es ging auf die Straße.“ Die Schreie sind so durchdringend, dass ihm seine Kleidung egal ist. „Ich hörte: Hilfe, Hilfe, er bringt mich um.“

„Sie hatte Kratzer und Würgemale am Hals“

Auf der Straße sieht er den Angeklagten und seine Frau. „Sie lag am Boden und er hat sie an den Haaren gezogen. Er wollte sie zurück in die Wohnung schleifen.“ Der Nachbar fällt dem Mann entschlossen in den Arm. Und erkennt den Zustand der völlig verängstigten Frau. „Sie hatte Kratzer und Würgemale am Hals.“

Die Polizei rückt an. Ihr erzählt die Frau, dass ihr Mann sie in der Wohnung ersticken wollte. Er habe auf ihr gekniet und ihr ein Kissen auf den Mund gedrückt. Mit letzter Kraft habe sie sich entwinden und auf die Straße flüchten können.

Sie hatte in den Monaten vorher häufig den Nachbarn von ihrer größten Sorge erzählt. „Sie hat gesagt, er will sie umbringen“, berichtet der Zeuge. Der Satz „Ich bring dich um“ sei von ihm häufiger geäußert worden. „Aber das hätte ich ihm nie zugetraut.“

Ehefrau musste sich mit dem Handy filmen

Die Nachbarn kannten die schwierige Beziehung des Ehepaars mit ständigem Streit. Und den Kontrollwahn des Mannes. „Sie musste sich den ganzen Tag mit dem Handy filmen, damit er weiß, wo sie ist.“ Die Lautstärke beim Streiten sei sehr groß gewesen. „Das haben wir noch durch zwei Hauswände, drei Meter Abstand und geschlossene Fenster mitbekommen.“

Die Nähe sorgte auch dafür, dass der Nachbar sicher war, was er von den Vorwürfen der angeblichen Untreue hält. „Er war krankhaft eifersüchtig, aber ich wusste, sie hat keinen Freund. Wenn sie nicht gearbeitet hat, war sie die meiste Zeit daheim. Ich habe keinen fremden Mann gesehen.“

Nach dem Angriff in der Wohnung und auf der Straße reicht es der Frau. Sie wirft den Mann aus der Wohnung, erwirkt ein Kontakt- und Annäherungsverbot und bringt die Scheidung auf den Weg. Los wird sie ihn nicht, allen wegen des geteilten Sorgerechts. Ihr Mann ist ständig präsent. „Er hat oft mit dem Handy auf der anderen Straßenseite gestanden und auf ihr Haus gefilmt. Und geschrien und sie beschimpft“, berichtet der Nachbar. Eine seiner Rufe sei gewesen „Komm raus, du Schlampe, du betrügst mich, ich will das Kind“.

Wer griff wen an? Verfahren eingestellt

Die Ermittlungen der Polizei zu dem nächtlichen Angriff enden damit, dass das Würgen am Hals und die Gewalt auf der Straße keine Folge haben. Das Verfahren wird eingestellt. Der Mann hatte eine Gegenanzeige gestellt und behauptet, er sei von seiner Frau körperlich angegriffen worden und habe sich nur gewehrt.

Die Begründung für die Einstellung verliest Vorsitzende Richter Markus Bader am fünften Verhandlungstag des Mordprozesses aus den Akten. „Die Verletzungen lassen nicht erkennen, wer angriff und wer sich verteidigt hat“, heißt es darin. Das sei auch deshalb nicht zu klären, so wörtlich, „da keine unbeteiligten Zeugen zur Verfügung standen“. Der Nachbar taucht in dem Bericht der Polizei offenbar nicht auf, obwohl er von der Polizei am Tatort angetroffen wurde.

Die Frau ist entsetzt und legt über ihren Anwalt Beschwerde ein. Auch diese wird abgewiesen. Die Generalstaatsanwaltschaft teilt die Einschätzung der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth, dass es keine Belege gebe, dass der körperliche Angriff vom Mann ausging. Er ist nach den Angaben im Bericht der Polizei „rund 1,90 Meter groß“, seine Frau maß laut Obduktion 1,61 Meter.

Anwalt will Bilder von Verletzungen sehen

Rechtsanwalt Benjamin Schmitt will sich damit nicht zufrieden geben. Er vertritt im Prozess die Schwester der Getöteten, die als Nebenklägerin zugelassen ist. Schmitt will im Gerichtssaal die Bilder gezeigt bekommen, die die Polizei im Juli 2019 von der Ehefrau des Angeklagten machte. Die von dem Zeugen beschriebenen Würgemale am Hals sollen darauf deutlich zu sehen sein. Für den Anwalt ein weiteres Indiz, dass es schwere körperliche Gewalt gegen die dreifache Mutter durch den Angeklagten nicht erst am Tag ihres Todes am 28. November 2021 gab.

Die Verhandlung wird am Montag um 9 Uhr fortgesetzt. Sollte die Beweisaufnahme beendet werden, könnten die Plädoyers folgen. Als derzeit letzter Verhandlungstag ist der Freitag, 9. Dezember, angesetzt.


Von Manfred Blendinger
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