Ein Sieg ist für Lando Norris noch lange nicht genug. „Ich bin tief überzeugt davon, dass wir weitere Rennen gewinnen können, ohne großspurig klingen zu wollen“, sagte der Brite in Spielberg. Der 24-Jährige ist im McLaren zum ersten Herausforderer von Formel-1-Weltmeister Max Verstappen aufgestiegen und scheint in der Lage, den Superstar von Red Bull auf dem Weg zu dessen viertem Titel große Probleme bereiten zu können. „Ich fahre mit den Besten mit, aber ich möchte der Beste sein“, sagt der WM-Zweite vor dem Großen Preis von Österreich am Sonntag (15.00 Uhr/Sky) selbstbewusst.
Norris ist kein Sprücheklopfer. Er ist ein Perfektionist, der mit sieben Jahren schon im Kart saß, schnell von Sieg zu Sieg eilte und dafür einiges opferte. Eine richtige Jugend habe er nicht gehabt, erzählte der Rennfahrer aus Bristol in dieser Woche dem englischen „Telegraph“: „Mein Leben war schon immer das Rennfahren.“ Freundschaften kamen lange zu kurz, weil er bereits als Schüler viel reiste. „Ich war so schmächtig als Kind und hatte kein Selbstvertrauen“, sagte er. Daran änderten zunächst auch die Erfolge nichts - und auch heute sagt er noch: „Das Leben als Formel-1-Fahrer kann einsam sein.“
Als Klagen will er das nicht verstanden wissen, rückblickend würde es fast nichts ändern und er bereut den Weg nicht, der ihn im Mai zum ersten Sieg in der Motorsport-Königsklasse in Miami führte. „Davon habe ich geträumt, seit ich ein Kind bin“, sagte er. „Ich bin definitiv nicht perfekt und habe Dinge, an denen ich arbeiten muss, aber ich bin jetzt noch hungriger zu gewinnen und ich bin noch enttäuschter, wenn ich es nicht schaffe“, betonte er.
McLaren-Teamchef Andrea Stella sieht in Norris einen Mann, der auf einer Stufe mit Michael Schumacher, Kimi Räikkönen oder Fernando Alonso stehen kann. Mit ihnen allen arbeitete der Italiener in der Vergangenheit selbst zusammen. „Lando ist definitiv da“, sagte Stella und nennt seinen Piloten „Weltmeistermaterial“. Mit rund 20 Millionen Pfund (23,6 Millionen Euro) pro Jahr wird Norris laut „Telegraph“ bei McLaren entlohnt. Tendenz steigend.
Das liegt nicht nur am fahrerischen Können, sondern am Gesamtpaket. Norris ist der Star einer neuen Generation Formel-1-Fans. Viele von ihnen fanden über die Netflix-Serie „Drive to survive“ den Weg zum Motorsport, Norris holte sie auch in Twitch-Streams oder auf anderen Social-Media-Kanälen ab. 8,6 Millionen Menschen folgen ihm allein auf Instagram und sehen einen jungen Mann, der eine große Leidenschaft für die Fotografie entwickelte, den Spieler des Spiels im Champions-League-Finale auszeichnete und seine Erfolge mit kindlicher Freude ausgelassen feiert.
McLaren nahm Norris schon früh unter Vertrag, seit 2019 fährt er in der Formel 1. Viel erinnert an die Karriere von Lewis Hamilton, der bei dem britischen Rennstall in jungen Jahren einen ähnlichen Weg ging. Aber kann Norris ein neuer Hamilton werden? Dass er das Potenzial zum Weltmeister hat, sagen viele Experten, nicht nur im eigenen Team. Fraglos ist Norris aber ein ganz anderer Typ als der exzentrische Hamilton, der mit sieben Titeln Rekordweltmeister ist. Mercedes-Star Hamilton kommt aus ärmlichen Verhältnissen, Norris' Vater hingegen machte viele Millionen als Gründer eines britischen Investmentunternehmens.
Lando Norris selbst ist es aber wichtig zu betonen, dass er sich seinen Sitz in der Formel 1 nicht durch das Geld seines Vaters erkauft hat, wie es schon einige andere Taten. Ihn einzig als Profiteur einer reichen Familie zu sehen, wäre falsch, wenngleich er es finanziell viel leichter hatte als viele Konkurrenten. Mittlerweile hat er sich eine eigene Marke aufgebaut, schon als Nachwuchsfahrer hatte er als einer der ersten ein Social-Media-Team und vermarktet auch eigene Klamotten-Kollektionen.
Gerade 20 Jahre alt war er, als er erstmals im Formel-1-Cockpit saß, damals war auch Verstappen dabei. Beide sind gute Freunde, fliegen nach den Rennen schon mal gemeinsam in Verstappens Privatjet in die gemeinsame Wahlheimat Monaco zurück. Norris sagt offen, dass er dort auch aufgrund der Steuervorteile lebt und nicht nur wegen des guten Wetters ans Mittelmeer gezogen ist. Von Verstappens Erfolgen (drei WM-Titel, 61 Siege) ist Norris noch weit entfernt, zudem ist der zwei Jahre ältere Niederländer deutlich abgezockter. Vor dem elften von 24 Saisonläufen liegt Verstappen in der WM-Wertung 69 Punkte vor Norris.
„Ich habe erst ein Rennen gewonnen. Ein Rennen ist natürlich großartig, aber auch wieder relativ gemessen an dem, was man noch erreichen kann“, sagte Norris. In Barcelona kostete ihn eine kleine Unachtsamkeit am Start den möglichen zweiten Sieg, in Österreich soll es nun besser laufen. „Wir fahren gegen einen der besten Fahrer in der Geschichte der Formel 1 und gegen eins der besten Teams“, sagte Norris. McLaren hat sich im letzten Jahr so gesteigert wie niemand sonst und hat das beste Auto. „Es sieht manchmal schneller aus, als es ist“, sagte Norris und schob hinterher: „Ich habe ihn in Barcelona nicht geschlagen, deswegen müssen wir als Team einen noch besseren Job machen.“
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