Die Städte Nassau in Rheinland-Pfalz und Garmisch-Partenkirchen in Bayern wollen die mutmaßliche nationalsozialistische Vergangenheit des Unternehmers Günter Leifheit (1920-2009) genauer untersuchen lassen. Beide Städte hatten vor wenigen Wochen einen mehr als 50 Seiten umfassenden Bericht eines Historikers mit Recherchen über die Verstrickungen Leifheits während der NS-Zeit erhalten.
In dem nun veröffentlichten Bericht beschäftigte sich Stefan Holler, Mitarbeiter eines Münchner Verlages und Historiker, genauer mit der Vergangenheit des Unternehmers. „Er ist freiwillig in die Hitlerjugend, die NSDAP, die Waffen-SS und die Allgemeine SS eingetreten und hat damit mehrfach ein politisches Bekenntnis für den Nationalsozialismus abgelegt“, schreibt Holler. Er hält aber auch fest: „Es gibt keinen Hinweis für eine persönliche Beteiligung Leifheits an Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit.“
Leifheit ist Gründer des gleichnamigen Nassauer Haushaltswarenherstellers, der etwa Wäscheständer herstellt. Auf Anfrage teilte das Unternehmen mit, es habe die Forschungsergebnisse zur Kenntnis genommen. „Wir befürworten die angestoßene transparente Aufklärung durch unabhängige Historiker und Experten, um die historische Rolle von Herrn Leifheit zu bewerten und den damit verbundenen persönlichen Vorwürfen nachzugehen“, schrieb ein Sprecher.
Günter Leifheit und seine Frau hatten das Unternehmen 1959 gegründet. Sie zogen sich 1974 nach dem Verkauf an einen US-Konzern aus dem operativen Geschäft zurück. „Seitdem war das Ehepaar Leifheit nicht mehr in die Unternehmensführung eingebunden“, hieß es. Den Namen des Gründers trägt das Unternehmen aber weiterhin. Die Frage, welche Folgen das Unternehmen nun aus den Vorwürfen zieht, ließ der Sprecher unbeantwortet.
Familie Leifheit ist auch darüber hinaus mit Nassau verbunden. In der Stadt gibt es das Günter-Leifheit-Kulturhaus, in dem etwa das Archiv, die Stadtbibliothek und ein Jugendtreff untergebracht sind und eine Schule namens Leifheit-Campus. Garmisch-Partenkirchen als zeitweise Wahlheimat des Ehepaars erhielt nach dem Tod des Unternehmers 57 Millionen Euro aus dessen Nachlass, um Projekte für Senioren zu finanzieren.
Günter Leifheit starb 2009. Es sei bekannt gewesen, dass er bei der Wehrmacht gewesen sei, sagte Manuel Liguori, Stadtbürgermeister von Nassau und SPD-Politiker im rheinland-pfälzischen Landtag. In der Systematik und in dieser Tiefe sei seine NS-Vergangenheit bisher aber nicht bekannt gewesen.
„Wir nehmen das sehr ernst“, sagte Liguori zu dem Bericht. Nassau und Garmisch-Partenkirchen wollen sich gemeinsam um eine Aufarbeitung kümmern. „Wir wollen gemeinsam vorgehen, gemeinsam aufarbeiten und dann auch noch mal externe Personen damit beschäftigen, die sich wissenschaftlich damit auseinandersetzen“, sagte er. „Uns geht es jetzt um Aufklärung. Wir sind keine Historiker, keine Juristen.“ Erst, wenn es dann Ergebnisse gebe, könne auch eine Bewertung vollzogen werden.
Das Thema soll am Mittwoch im Ältestenrat von Nassau besprochen werden, in der nächsten Woche sei auch ein Gespräch mit der Leifheit-Stiftung geplant. Um über mögliche Konsequenzen - etwa eine Umbenennung des Kulturhauses oder die Ehrenbürgerschaft Leifheits - zu sprechen, sei es aber noch zu früh. „Wir sind da offen und transparent und dürfen da gedanklich nichts ausschließen“, sagte Liguori.
Auch in Bayern ist der Bericht Anfang Juli eingegangen. „Unser Ziel ist es, transparent und offen die Biografie von Günter und Ingeborg Leifheit mit Hilfe von Fachleuten aufzuarbeiten, um im Anschluss die notwendigen Konsequenzen ziehen zu können“, teilte LongLeif GaPa auf Anfrage mit - die gemeinnützige GmbH ist nach eigenen Angaben eine hundertprozentige Tochter des Marktes Garmisch-Partenkirchen, ihre Aufgabe ist es, die 57 Millionen Euro aus der Günter und Ingeborg Leifheit-Stiftung zu verwalten. Der Stiftungszweck umfasse „gemeinnützige und Wohltätigkeitszwecke zu Gunsten von alten und pflegebedürftigen Personen“. Die Stiftung selbst reagierte nicht auf eine Anfrage.
In einer Sitzung des Marktgemeinderats sei beschlossen worden, die Biografie Leifheits transparent aufzuarbeiten, hieß es von der LongLeif. „Die LongLeif wird nun die nächsten Schritte planen sowie die Aufarbeitung mit entsprechender Kommunikation in die Wege leiten und steuern.“
In Rheinland-Pfalz wurde Günter Leifheit 2006 sogar mit dem Verdienstorden des Landes Rheinland-Pfalz ausgezeichnet. „Hätte man damals bereits Kenntnis von seiner nunmehr bekanntgewordenen NS-Vergangenheit gehabt, wäre die Auszeichnung niemals verliehen worden“, teilte die Staatskanzlei der Deutschen Presse-Agentur mit.
Allerdings: „Der grundsätzlich mögliche Widerruf einer Auszeichnung kann nur zu Lebzeiten des Ordensträgers bzw. der Ordensträgerin erfolgen.“ Eine posthume Entziehung des Ordens sei im Gesetz nicht vorgesehen.
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