Richter am Obersten Gericht der USA zeigen Zurückhaltung in einem Fall, der an einem Grundsatz des heutigen Internets rütteln könnte. Dabei geht es um die Reichweite einer gesetzlichen US-Regelung aus den 90er Jahren, die Online-Dienste vor Haftung für die Veröffentlichung von Inhalten befreit, die von anderen erstellt wurden.
Die als „Section 230“ bekannte Regel gilt als ein wichtiger Schutzschirm vor Klagen, unter dem sich Plattformen wie Google, Facebook oder Twitter entwickeln konnten.
Die neun Richter am Supreme Court hielten am Dienstag eine Anhörung zu einem Fall, bei dem Googles Videoplattform YouTube im Mittelpunkt steht. Es klagt die Familie einer amerikanischen Studentin, die bei den Terroranschlägen der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) im November 2015 in Paris getötet wurde.
Sie will YouTube zur Verantwortung ziehen, weil Algorithmen der Plattform Nutzern Propagandavideos des IS empfohlen hätten. Die Richter ließen in ihren Fragen an die Anwälte erkennen, dass sie der Position der Kläger eher skeptisch gegenüberstehen.
So hob der Richter Clarence Thomas hervor, dass es um dieselben Algorithmen gehe, die Nutzern auch harmlose Inhalte wie etwa Videos zur Zubereitung eines Reisgerichts auftischten. Auch daher könne er den Vorwurf nicht nachvollziehen, dass die Funktion Terror-Beihilfe leiste.
Klägeranwalt Eric Schnapper argumentierte darüber hinaus, die Plattform sei haftbar, da sie bei der Anzeige der Videos die kleinen Vorschaubilder - sogenannte „Thumbnails“ - erzeuge. Damit sei YouTube selbst an der Erstellung von Inhalten beteiligt und bewege sich außerhalb des Schutzrahmens von „Sections 230“, sagte er. Google-Anwältin Lisa Blatt hielt dagegen, die Thumbnails seien nur Aufnahmen aus von anderen erstellten Videos.
Zugleich ließen die Richter durchblicken, dass der Einsatz von Software mit künstlicher Intelligenz - wie etwa der Technologie hinter dem Text-Automaten ChatGPT bei Microsofts Suchmaschine Bing - in Zukunft die Situation für Online-Plattformen verändern könnte. So warf Richter Neil Gorsuch die Frage auf, ob ein Dienst mit einem von solcher Software erzeugten Text selbst zu einem Produzenten von Inhalten werde, die nicht unter den Schutz von „Section 230“ fielen.
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