Marco Odermatt ist so etwas wie das Schweizer Taschenmesser unter den Skirennfahrern. Ein Alleskönner, der für fast jedes Problem auf der Piste das passende Werkzeug parat hat.
Im dichteren Stangenwald im Riesenslalom behält der Gesamtweltcup- und Olympiasieger genauso den Überblick wie auf den steilen Hängen im Super-G und in der Abfahrt. Ab Montag richten sich viele Augen in Frankreich auf den 25-Jährigen. Dass Odermatt Gold bei den Alpin-Weltmeisterschaften gewinnt, ist für die Ski-Experten unumstritten. Die Frage ist eher: wie oft?
Wie in einem Computerspiel springt Odermatt in seiner Karriere von Level zu Level. 2018 gewann er bei der Junioren-WM fünfmal Gold, 2019 folgte der erste Titel im Weltcup. Im Alter von 24 Jahren holte er 2022 Gold bei Olympia. In diesem Jahr könnte der Schweizer die vor über 20 Jahren von Hermann Maier aufgestellte 2000-Punkte-Marke in einer Weltcup-Saison knacken. Als „Heldengeschichte“ bezeichnete Deutschlands ehemalige Skirennfahrerin Maria Höfl-Riesch die Reise des Schweizers in die Weltspitze.
Selbst leicht angeschlagen wie zuletzt in Cortina d'Ampezzo lässt der Edeltechniker die Konkurrenz hinter sich. Mit seinen Saisonsiegen sieben und acht setzte Odermatt ein deutliches Zeichen vor dem Saisonhöhepunkt. „Bis zur WM bin ich dann wieder bei 100 Prozent“, sagte der Ausnahmeathlet später. Aber selbst 80 scheinen ja zu reichen.
Der Sessel des Führenden, in dem die Athleten während der Rennen sitzen, ist mittlerweile so etwas wie Odermatts Stammplatz. „Er ist einfach ein gnadenloser Skifahrer. Er beherrscht eine Technik, die von uns aktuell keiner beherrscht“, sagte der deutsche Riesenslalom-Spezialist Alexander Schmid über seinen Rivalen und adelte ihn als „derzeit Besten“.
Simpel, geschmeidig und trotzdem irgendwie draufgängerisch: Odermatts schnörkelloser Fahrstil ist seine große Stärke. Aufgepumpte Muskeln braucht der schmächtige Alleskönner nicht, um in den schlauchenden Schussfahrten mit Kraftpaketen wie Aleksander Aamodt Kilde mithalten zu können. „Leichtigkeit und Coolness“ zählt der Schweizer zu seinen Qualitäten. Angst habe er nicht, wenn er sich aus dem Starthäuschen stürzt - „nur gesunden Respekt“. Perfekt ist aber auch Odermatt nicht.
Wer bei dem Alpin-Superstar einen Makel sucht, wird mit dem fehlenden Titel bei einer WM und in der Königsdisziplin Abfahrt fündig. Auf dem Schussfahrtsstockerl ist er zwar Dauergast, für den großen Coup blieb bislang aber zu viel Zeit auf den langen Gleitpassagen liegen. Vielleicht Odermatts einziges Manko.
Doch auch ohne Abfahrtssieg ist der Nidwaldner längst ein Star. Sein markantes Siegerlächeln in Kombination mit dem Bubi-Gesicht hat sich ins Gedächtnis der Alpinen eingebrannt. Sogar eigene Songs werden dem Ski-Ass gewidmet. Läuft die Playlist auch in Frankreich? „Der obere Teil des Kurses ist sehr schnell. Das Ende ist sehr steil, viel härter für die Beine“, beschrieb er den WM-Kurs. Doch auch für diese Piste wird Odermatt sicherlich das passende Werkzeug finden.
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