Darauf muss man erst einmal kommen: Eine virtuelle Kamera, die anhand von Standortdaten und damit verbundenen Kontextinformationen Fotos „schießt“. Aber genau dieses Konzept hat der Interaktionsdesigner Bjørn Karmann ersonnen, umgesetzt und Paragraphica getauft.
Wer die Paragraphica-Seite im Browser aufruft, sieht das 3D-Modell von Karmanns besonderer Kamera. Hat man auch den Standortzugriff freigegeben, erscheint auf dem Display ein beschreibender Text zum eigenen Standort in englischer Sprache. Darin enthalten sind Angaben wie Tageszeit, Adresse (Koordinaten), Wetter, Temperatur und umliegende Gebäude, Geschäfte oder Landmarken.
Mit dieser Beschreibung als Befehl sind Text-zu-Bild-Generatoren wie die KI-Software Stable Diffusion in der Lage, Bilder auszugeben. Stable Diffusion direkt zu nutzen, ist kostenpflichtig. Man kann aber auf Dienste ausweichen, die die Nutzung der Software nach Anmeldung in begrenztem Umfang gratis anbieten. Dazu zählen etwa „Playground AI“, „InstantArt“ oder „Lexica“. Karmann bietet das Generieren der Bilder gegen eine kleine Gebühr auch direkt auf seiner Seite an.
Doch damit nicht genug: Neben der virtuellen Variante hat der Designer auch einen physischen Prototypen seiner Kamera entwickelt: In deren 3D-gedrucktem Gehäuse stecken unter anderem ein Mini-Rechner (Raspberry Pi) und ein Touchscreen.
Die Kamera kommt aber natürlich ohne Objektiv aus. Dort, wo ein Fotoapparat gewöhnlich seine Optik hat, prangt bei der Paragraphica symbolisch nur das stilisierte, hautfransenbehangene Riechorgan des Sternnasenmaulwurfs, mit dem das Tier riechen, tasten und sogar elektrische Reize wahrnehmen kann.
Da Licht für den fast ausschließlich unter der Erde lebenden Maulwurf so gut wie nutzlos ist, hat Karmann das außergewöhnliche Sinnesorgan des Tierchens als Metapher für seine physische, aber linsenlose KI-Kamera ausgewählt. Denn die Paragraphica zeichnet nicht mit Licht, sondern generiert ihre Bilder anhand elektronisch übermittelter Informationen.
Kratzt die Paragraphica mit ihren Bildergebnissen auch nur annähernd am Bereich der Realität? Wie groß sind die Unterschiede zu einem echten Foto und worin bestehen sie genau? Diese Fragen und der Abgleich machen den großen Reiz des Projekts aus.
Einen ersten Eindruck, wie die Bild-„Vorstellungen“ der Künstlichen Intelligenz sind und wie es an dem jeweiligen Ort wirklich aussieht, gibt Karmann auf seiner Projektseite mit einigen Vergleichsbildern. Es gibt zudem ein kurzes Video, dass den physischen Prototypen der Paragraphica im Einsatz zeigt.
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