Überlebensgroß prangt die Queen am Münster der Stadt York. Zwei Meter misst die Statue, die fortan - so sagte es ihr Sohn Charles - die nordenglische Stadt bewache. Die Königin ist tot, und der „ewige Thronfolger“ ist nun König.
Doch die Szene in York zeigt exemplarisch, wie sehr Queen Elizabeth II. noch immer im Bewusstsein des Vereinigten Königreichs verankert ist. Die Trauerfeiern nach ihrem Tod am 8. September waren historisch. Der Tag X, der angesichts des hohen Alters der Monarchin zwar befürchtet, aber irgendwie doch nie erwartet worden war, bedeutet eine Zäsur für das ganze Land.
Hunderttausende säumten die Straßen, als der Sarg der Queen an den Trauernden vorbei defiliert wurde, ob auf dem Weg von ihrem geliebten Landsitz Balmoral in Schottland, in Edinburgh, in London oder auf der Strecke zur letzten Ruhestätte auf Schloss Windsor. Ein Land nahm Anteil - und stand zu Ehren der verehrten Monarchin tagelang still.
Vor den Royals liegt also mit 2023 das erste Jahr ohne ihre Übermutter, die 70 Jahre regierte. Das bedeutet auch: Das Land freut sich auf eine Krönung. Am 6. Mai soll es soweit sein, dass König Charles III. auch offiziell die berühmte Imperial State Crown aufs Haupt gedrückt wird.
Den Rückenwind, den das Königshaus nach dem Tod der Queen und im Zuge von Charles' Amtsantritt erfuhr, will die Royal Family nutzen. Die Krönung von Charles (74) und seiner Königsgemahlin Camilla (75) soll auch ein Signal sein, dass die Monarchie die Zeichen der Zeit erkannt hat.
Kürzer und weniger pompös soll die Zeremonie werden und dabei dennoch die Traditionen wahren und mit dem Werbeträger Königshaus als „soft power“ glänzen, wie britische Medien wiederholt berichteten.
Im Vergleich mit der bisher letzten Krönung vor 70 Jahren zeigen die Zahlen, wie das aussehen soll. Mit etwa 2000 Gästen sind noch immer sehr viele Menschen in der Londoner Westminster Abbey dabei. Es sind aber 6000 weniger als 1953 bei der Krönung der Queen. Die Dauer von rund einer Stunde ist zudem deutlich kürzer als damals.
Es wird auch erwartet, dass der König nicht ansatzweise so oft die Kleider wechseln wird wie einst seine Mutter. Gleichzeitig sollen die traditionellen Bestandteile wie die Salbung erhalten bleiben.
Doch die Blicke der Welt werden sich wohl eher darauf richten, ob Charles' jüngerer Sohn Prinz Harry (38) und dessen Ehefrau Herzogin Meghan (41) teilnehmen werden. Das Paar, das seine royalen Pflichten ebenso wie seine Ehrentitel längst abgelegt hat und mit den Kindern Archie (3) und Lilibet (1) in den USA lebt, hat ein extrem schwieriges Verhältnis zu Harrys britischer Familie. In mehreren Interviews und einer Netflix-Dokumentation warfen die beiden dem Palast schwere Fehler und sogar Rassismus vor. Ihre Teilnahme an der Queen-Trauerfeier scheint das Binnenverhältnis kaum verändert zu haben, auch wenn Charles gleich zu Beginn seiner Regentschaft seine tiefe Liebe zu Sohn und Schwiegertochter versicherte.
Schlimmer noch: Schon zu Jahresbeginn droht ein weiterer Tiefschlag. Am 10. Januar soll Harrys Autobiografie erscheinen. Zwischen den beiden Buchdeckeln dürfte jede Menge Sprengkraft stecken. In London wird befürchtet, dass „Reserve“, wie der deutsche Titel des Werkes „Spare“ lautet, nicht nur den Bruch in der Royal Family vertieft. Sondern, dass es sogar die Krönung überschattet.
Schon der Titel lässt nach Ansicht von Experten darauf schließen, welche Stoßrichtung von Harry zu erwarten ist. Der Verlag Penguin Random House kündigte eine offenherzige Schilderung von Harrys Leben an - für die er angeblich mehrere Millionen Pfund Vorkasse erhielt. Royals-Experten erwarten eine neue Eiszeit, vor allem mit dem älteren Bruder Prinz William (40). Darauf deute auch hin, dass Harry eine Einladung zur traditionellen Familien-Weihnachtsfeier auf dem ostenglischen Landsitz Sandringham ausgeschlagen haben soll - aber dafür Anfang Januar nach London kommen will, um das Buch zu promoten.
Krönung und ein mögliches Skandalbuch - da bleibt nicht viel Platz für andere royale Themen, könnte man meinen. Dabei ist der Kalender voll, so sollen Thronfolger William und Ehefrau Prinzessin Kate (40) ebenso eine Reise nach Australien und Neuseeland planen wie Charles und Camilla. Nicht nur will sich der König persönlich in den 14 anderen Staaten vorstellen, in denen er als Staatsoberhaupt fungiert. Es gilt auch, das Commonwealth zusammenzuhalten - immer mehr Länder erwägen, der Krone zu entsagen und eine Republik zu bilden.
Auch eine Formalie sorgt für Brisanz: Damit sich Charles im Falle seiner Abwesenheit weder vom entfremdeten Sohn Harry noch vom skandalumwitterten jüngeren Bruder Prinz Andrew (62) vertreten lassen muss, will der König den Kreis der „Counsellors of State“ erweitern und auch seinen zweiten Bruder Prinz Edward (58) sowie seine Schwester Prinzessin Anne (72) dort aufnehmen. Das würde zwar auf den ersten Blick seinen Plänen einer schlankeren Monarchie widersprechen. Zugleich aber würden damit Andrew und Harry an den Rand gedrängt, ohne dass der Familienfriede nach außen weiter bröckelt. Klar ist schon jetzt: Im ersten Jahr ohne die „ewige Queen“ hat das Königshaus viele Baustellen zu meistern.
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