Na prima, pünktlich zum Saisonbeginn hat der Mercedes SL sein H-Kennzeichen bekommen. Doch ausgerechnet bevor der Roadster aus der Baureihe 129 in seinen ersten Oldtimer-Sommer startet, streikt der Verdeckmechanismus und es werden neue Mikroschalter fällig. Bei einem Neuwagen wäre das kein Problem. Schließlich garantiert eine ausgeklügelte Ersatzteillogistik den Teilenachschub in der Regel binnen 24 Stunden.
Doch bei einem 30 Jahre alten Auto? „Sieht die Sache im besten Fall kaum anders aus,“ sagt Peter Becker. Er ist Klassik-Sprecher bei Mercedes und verweist auf einen Teilekatalog mit 175.000 Positionen, die der Hersteller für Oldtimer auf Vorrat hat.
Das reicht demnach von Cent-Artikeln wie Dichtungen und Schrauben bis zur Rohbau-Karosserie des SLR-Sportwagens aus der Baureihe R199, die für 210.000 Euro verkauft wird. Und der Katalog geht weit zurück, sagt Becker: Selbst für das Dreirad von 1886, gemeinhin als das erste Auto der Welt gehandelt, gibt es noch 50 Ersatzteile.
Mit diesem Aufwand sind die Schwaben nicht alleine. Auch Audi, BMW, VW oder Porsche haben längst auf das anhaltende Interesse für alte Autos reagiert und entsprechende Kataloge aufgebaut.
Porsche zum Beispiel hat in 75 Jahren Sportwagenbau nach eigenen Angaben einen Teilevorrat mit 80.000 Positionen angelegt. Bei BMW sind es 65.000, bei Audi über 30.000 und bei VW rund 60.000 Positionen. Darunter sind auch ein paar Kuriositäten:
So haben die Niedersachsen für jeweils 32,49 Euro noch immer Radkappen für den Käfer von 1947 im Angebot oder eine komplette Karosserie für den Beetle RSi, die mit knapp 19.000 Euro zu Buche schlägt. Das exotischste Bauteil bei Audi ist ein kompletter W12-Motor für gut 35.000 Euro und das älteste bei BMW ein Getriebe für den 328 aus den 1940er Jahren.
Basis dieser Vorräte sind bei allen Herstellern zunächst immer erst einmal das Werk und die Serienproduktion. Sobald dort ein Modell - je nach Marke und Baureihe üblicherweise 10 bis 20 Jahre nach Ende der Laufzeit - aus der Versorgungsgarantie fällt, werden Teile nicht entsorgt, sondern an die Klassikabteilung übergeben.
Doch weil die Vorräte nicht ewig reichen, werden viele Teile auch regelmäßig nachproduziert, erläutert BMW-Sprecherin Silke Brigl: Im engen Dialog mit Clubs, Kunden und der eigenen Classic-Werkstatt wird entschieden, welche Teile wann nachproduziert werden.
Dabei liege der Fokus auf den mobilitäts-, sicherheits- und crashrelevanten Bauteilen, sagt Birgl: „Wir haben das Ziel, unsere Kunden sicher und mobil zu halten.“
Produziert wird dabei oft auf den alten Werkzeugen, die teilweise ebenfalls in die Verantwortung der Klassik-Werkstätten übergehen. Und immer öfter auch mit dem 3D-Drucker. Zwar gibt es da bestimmte Einschränkungen, weil viele Bauteile aus mehreren Komponenten hergestellt sind und deshalb nicht mal eben gedruckt werden können, schränkt Mercedes-Sprecher Peter Becker ein. Und für größere Stückzahlen sei der 3D-Drucker ebenfalls wenig sinnvoll.
Doch eröffnen diese sogenannten additiven Verfahren in Gegenzug neue Perspektiven für Teile, die nur selten nachgefragt und deshalb oft nicht mehr verfügbar sind.
Das gilt insbesondere für Zierteile. Denn im den ausufernden Katalog im Zaum zu halten, beschränken sich viele Hersteller auf Ersatzteile, die fürs Fahren unerlässlich sind. Bei Haltegriffe, Zierleisten, Befestigungen, Dichtungen oder Abdeckungen leisten sie sich dagegen bisweilen ein paar Lücken, die sich nun mit dem 3D-Drucker schließen lassen. Es gibt deshalb mittlerweile zahlreiche Dienstleister, denen man beschädigte Teile schicken kann. Dort werden sie eingescannt, digital repariert und dann im passenden Material neu ausgedruckt.
Zwar gilt vielen der Hersteller auch bei Oldtimern als erste Adresse für Ersatzteile. Doch muss das nicht immer der beste Weg sein, sagt Frank Wilke vom Marktbeobachter Classic Analytics.
Denn seit die Hersteller ihre Teile oft selbst nachproduzieren müssen, gibt es auch dort in Ausführung und Anmutung oft Unterschiede zum Original, hat der Experte beobachtet.
„Dann kann man auch gleich zu einem freien Spezialisten gehen, der oft billiger ist, näher an der Szene und mit seiner Erfahrung bisweilen sogar bessere Qualität liefern kann.“
Er empfiehlt den Blick in entsprechende Foren, in den Anzeigenteil der Oldtimer-Zeitschriften oder die Nachfrage bei den Marken- und Modellclubs. Letztere sind vor allem dann die besten Ansprechpartner, wenn es um ausländische Fahrzeuge geht, exotische Klassiker oder vergleichsweise gewöhnliche Importmodelle.
Denn während die deutschen Hersteller genau wie die italienischen oder englischen Luxusanbieter fast alle eine eigene Klassiksparte haben, ist es mit Volumenmarken aus Frankreich oder Italien schon schwieriger - von den Asiaten ganz zu schweigen.
„Da sind die Foren der Fans Gold wert“, sagt Wilke - und ein paar Fremdsprachenkenntnisse können natürlich auch nicht schaden. „Denn im Heimatland ist die Verfügbarkeit meist größer und der Preis oft günstiger als auf dem Importmarkt.“
Die Wahl des richtigen Ersatzteils hat dabei aber nicht nur einen großen Einfluss auf den Betrieb des Klassikers, warnt Wilke. Sondern sie steigert auch die Chancen beim Wiederverkauf.
„Wer einen Oldtimer immer mit möglichst originalen Teilen ausrüstet und das gut dokumentiert, der wirkt als Verkäufer vertrauenswürdiger und bekommt seinen Klassiker wahrscheinlich eher los - vielleicht sogar zu einem besseren Preis.“ Wer deshalb beim Teilekauf zu sehr aufs Geld schaut, der hat vielleicht am falschen Ende gespart.
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