Start im Mini-Format: 1&1 gibt sein Handynetz frei | FLZ.de

arrow_back_rounded
Lesefortschritt
Veröffentlicht am 08.12.2023 05:32

Start im Mini-Format: 1&1 gibt sein Handynetz frei

Der Telekommunikationskonzern 1&1 will heute seine mobilen Dienste offiziell starten. (Foto: Thomas Frey/dpa)
Der Telekommunikationskonzern 1&1 will heute seine mobilen Dienste offiziell starten. (Foto: Thomas Frey/dpa)
Der Telekommunikationskonzern 1&1 will heute seine mobilen Dienste offiziell starten. (Foto: Thomas Frey/dpa)

Sieben Jahre nach dem Aus von E-Plus hat Deutschland wieder ein viertes Handynetz. Die Telekommunikationsfirma 1&1 schaltete am heutigen Freitag offiziell ihre mobilen Dienste frei. „Das ist ein großer Tag für uns“, sagte Firmenchef Ralph Dommermuth in Montabaur. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) lobte das Unternehmen als Innovationstreiber. 1&1-Neukunden werden nun mit dem Netz der Firma verbunden. Allerdings besteht das Netz vorerst nur aus sehr wenigen Antennenstandorten, Ende September waren es 60. Zum Vergleich: O2 hat mehr als 28.000. Dort, wo 1&1 keine eigenen Antennen hat, werden die Kunden mit dem Netz von O2 verbunden.

Bisher gibt es in Deutschland Handynetze der Telekom, von Vodafone und von Telefónica Deutschland mit seiner Marke O2. Außerdem gibt es sogenannte virtuelle Netzbetreiber, die für ihr Mobilfunkgeschäft Kapazitäten der etablierten Anbieter nutzen und dafür Miete zahlen. So ein virtueller Netzbetreiber ist die United-Internet-Tochter 1&1 bisher gewesen. 2019 entschied sich Firmenchef Dommermuth aber dafür, auf eigenen Beinen zu stehen und an einer Frequenzauktion teilzunehmen. Die Firma ersteigerte Nutzungsrechte für 1,1 Milliarden Euro, um auf gewissen Frequenzen selbst funken zu dürfen. Bis 2030 plant die Firma mit insgesamt 5 Milliarden Kosten für das Netz.

Schleppender Netzausbau

Der Netzausbau von 1&1 kam erst spät in die Gänge, wegen einer deutlichen Verzögerung droht der Firma ein Bußgeld. Nach den Schwierigkeiten beim Ausbau soll dieser im kommenden Jahr Fahrt aufnehmen. Laut Auflagen der Bundesnetzagentur müssen die Antennen des Unternehmens bis Ende 2025 mindestens 25 Prozent der deutschen Haushalte erreichen und bis Ende 2030 mindestens 50 Prozent, dies wäre Firmenangaben zufolge mit 12.600 Antennenstandorten machbar. Die restlichen Haushalte sollen mit Roaming Netz bekommen.

Deutschland hatte lange Zeit vier Handynetze, 2014 übernahm O2 aber den Konkurrenten E-Plus. Die Zusammenlegung der Netze erfolgte schrittweise bis 2016. Danach waren es nur noch drei Handynetze, nun sind es wieder vier.

Wer schon jetzt 1&1-Kunde ist, für den ändert sich zunächst nichts. Denn mit dem Netzstart haben zwar Neukunden Zugriff auf die Antennen, der Bestand an den rund 12 Millionen Vertragskunden wird hingegen erst schrittweise bis Ende 2025 auf das neue Netz umgebucht. Im Sommer oder Herbst 2024 greift zudem ein Vodafone-Vertrag zum National Roaming, also zur Funkverbindung abseits der 1&1-Standorte. Das heißt, vereinfacht gesagt: Wo heute 1&1 drauf steht, ist viel O2 drin. Und künftig wird viel Vodafone drin sein.

Beginn als Festnetzersatzprodukt vor einem Jahr

Um einer staatlichen Vorschrift Genüge zu tun, hatte 1&1 seine wenigen Antennen schon vor Ende 2022 für ein Festnetz-Ersatzprodukt in Betrieb genommen: Haushalte in der Nähe der Standorte konnten Mobilfunk bekommen und brauchten daher keinen Festnetzvertrag. Wer mit seinem Smartphone an den Antennen vorbei lief, wurde aber nicht verbunden. Der Handynetz-Start wurde zunächst für das Sommerquartal 2023 geplant, dann aber verschoben. Nun ist es so weit.

Zu der Feier am Freitag in Montabaur kam Bundesminister Wissing. Er war voll des Lobes über das Unternehmen aus dem Bundesland im Südwesten Deutschlands. „Je mehr Netzbetreiber wir haben, je mehr investiert wird in unsere digitale Infrastruktur, umso besser ist es für die digitale Gesellschaft“, sagte der Liberale und wies auf das Ziel der Bundesregierung hin, dass Deutschland bis 2030 eine Vollversorgung mit dem Funkstandard 5G hat. Hierfür sei mehr Wettbewerb und damit auch mehr Innovation gut, sagte Wissing.

Innovationstreiber mit Open Ran

1&1 setzt auf ein offenes Funkzugangsnetz (Open Ran). Diesem Konzept wird zwar auch von der Konkurrenz zwar großes Potenzial beigemessen, in Sachen Regelbetrieb hält sich dabei aber eher zurück. 1&1 schreitet nun voran. Im Gegensatz zu den von der Branche bisher genutzten geschlossenen Systemen, die an einzelne Hersteller gebunden sind, sind beim Open Ran Standards und Schnittstellen offen. Dadurch können Komponenten unterschiedlicher Firmen genutzt werden, im 1&1-Netz sind das Firmenangaben zufolge mehr als 80 Anbieter. Das innovative Netz soll eine sehr geringe Reaktionszeit (Latenz) haben.

„Unser Netz basiert auf einer offenen Infrastruktur, das bedeutet, wir sind nicht abhängig von einem Ausrüster wie zum Beispiel Huawei“, sagt Domnmermuth mit Blick auf den umstrittenen Netzwerkausstatter aus China, dessen Komponenten die Konkurrenz noch immer verbaut hat.

Positive Folgen für Verbraucher erwartet

Verbraucherschützer werten den Markteinstieg von 1&1 positiv. „Die bestehenden Netze der drei Anbieter werden zwar stetig verbessert und leistungsfähiger, trotzdem sehen sich Verbraucherinnen und Verbraucher weiterhin Funklöchern und neuerdings auch leicht steigenden Preisen einiger Anbieter ausgesetzt“, sagt Felix Flosbach von der Verbraucherzentrale NRW. „Der Start eines weiteren Netzes kann hier zu neuem Wettbewerb in einem etablierten Markt führen, der in besseren Netzen und günstigeren Preisen für die Verbraucherinnen und Verbraucher münden kann.“

Jens-Uwe Theumer vom Vergleichsportal Verivox sagt, dass der vierte Netzbetreiber frischen Wind und mehr Wettbewerb in den Markt bringen werde. In Deutschland gab es lange Zeit vier Handynetze, 2014 fusionierten aber O2 und E-Plus. Nun steigt die Zahl der Handynetze wieder auf vier. „Fast zehn Jahre lang gab es drei etwa gleich große Anbieter, die kein Interesse an großen Verwerfungen hatten“, sagt Theumer. „1&1 bricht das jetzt auf.“ Der Markt werde dynamischer werden, mit mehr Wahlmöglichkeiten für Verbraucher. „Derzeit ist Deutschland mit einem durchschnittlichen Gigabyte-Preis von 2,50 Euro der drittteuerste Anbieter für mobiles Internet in Europa.“

Wichtig ist für die Firma die Frage, ob 2024 die nächste Mobilfunk-Auktion stattfindet. Denn bisher nutzt die Firma nur Frequenzblöcke in zwei Funkbändern, für ein optimales flächendeckendes Netz sind aber weitere Blöcke in anderen Bändern nötig. Daher will 1&1 nachkaufen. Nach Plänen der Bundesnetzagentur soll die Versteigerung aber ausfallen und bisherige Nutzungsrechte sollen verlängert werden - dann bliebe 1&1 hierbei außen vor und den Platzhirschen Telekom, Vodafone und 1&1 würde der Rücken gestärkt. In Montabaur werden diese Behördenpläne sehr kritisch gesehen.

© dpa-infocom, dpa:231208-99-221564/5


Von dpa
north