Gut drei Jahre nach dem Austritt aus der EU-Zollunion und dem Binnenmarkt beginnt Großbritannien mit der Kontrolle von Lebensmittelimporten aus der Staatengemeinschaft. Damit gebe es für EU-Exporteure bei Geschäften mit Großbritannien neue Hürden, sagte Marc Lehnfeld von der bundeseigenen Gesellschaft Germany Trade and Invest (GTAI) in London der Deutschen Presse-Agentur.
Betroffen seien vor allem lebende Tiere, Fleisch und Fleischerzeugnisse, frische Milch und deren Erzeugnisse sowie Eier. „In allen drei Kategorien ist die EU ein zentraler Lieferant und Deutschland ein wichtiges Lieferland“, sagte Lehnfeld.
Großbritannien war Ende Januar 2020 aus der EU ausgetreten. Nach einer Übergangsphase ist das Land seit 2021 auch nicht mehr Mitglied in der EU-Zollunion und im Binnenmarkt. Seitdem kontrolliert die EU auch die Importe aus Großbritannien. In die andere Richtung aber waren die Checks mehrmals verschoben worden, etwa weil noch nicht genügend Zollbeamte zur Verfügung standen. Zum 31. Januar sind für Importe von Tier- und Pflanzenprodukten aus der EU nun genaue Dokumente und Formulare notwendig. Bis Ende Oktober sollen dann vollständige Kontrollen eingeführt sein.
Jill Rutter von der Denkfabrik Institute for Government warnte, aufgrund der neuen Kontrollen und damit verbundenen längeren Lieferzeiten könne ausgerechnet im Wahljahr 2024 die Inflation wieder steigen. „Das ist vermutlich kein Brexit-Erfolg, den die Regierung in diesem Jahr unbedingt feiern wollte“, kommentierte Rutter.
Die Konservative Partei von Premierminister Rishi Sunak liegt in Umfragen weit hinter der sozialdemokratischen Labour-Partei. Experten rechnen daher auch mit einem harten Kurs in der EU-Politik, um Brexit-Hardliner nicht zu verprellen.
Noch größer könnten die Probleme werden, falls EU-Unternehmen aufgrund steigender Kosten und höheren Aufwands ihr Großbritannien-Geschäft einstellen sollten, schrieb Rutter. Dies könne zu Engpässen und Lieferunterbrechungen bei so verschiedenen Gütern wie Schweinefleisch, Tulpen und Erdbeeren führen.
„Das ist auch für die britische Wirtschaft und Verbraucher ein wichtiger Einschnitt“, sagte Außenhandelsexperte Lehnfeld. Er wies darauf hin, dass das Vereinigte Königreich in den ersten neun Monaten 2023 fast drei Viertel seiner Lebensmittel aus der EU importiert habe.
In der „Financial Times“ warnten Vertreter von Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen vor Problemen. Es entstehe mehr Arbeit für die zuständigen Veterinärbehörden. Die britische Fleischindustrie zeigte sich besorgt über den Mangel an amtlichen Tierärzten in wichtigen Märkten wie Deutschland, dem zweitgrößten Schweinefleischversorger in der EU für Großbritannien, und Italien, die für die Abnahme von Lieferungen zugelassen seien.
Lehnfeld sagte, ein sogenanntes SPS-Abkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich könne den bürokratischen Prozess erleichtern. SPS steht für sanitär-epidemiologische-, Veterinär- und Phytosanitärkontrollen, also Kontrollen von Lebensmitteln sowie von lebenden Tieren, Futtermitteln, Pflanzen oder Saatgut. Mit der Schweiz gibt es bereits ein SPS-Abkommen, das als Vorbild tauge. „Im britischen Wahljahr 2024 erscheint eine Einigung aber als schwer“, sagte Lehnfeld.
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