Die energisch emporgereckte Siegerfaust von Julian Nagelsmann war das passende Schlussbild an einem rundum schönen „Legenden“-Abend. Am Jahrestag seines ersten Länderspiels als Bundestrainer verband das reife und völlig verdiente 1:0 (0:0) gegen den Fußball-Erzrivalen Niederlande ideal die weltmeisterliche Vergangenheit mit der erfolgreichen Nations-League-Gegenwart und einer verheißungsvollen Zukunft. 2026 will Nagelsmann bekanntlich in Nordamerika ein Schlussbild mit dem goldenen WM-Pokal.
Bevor eine schwierige, von Ausfällen und Neuentdeckungen wie Debütant und Matchwinner Jamie Leweling geprägte Länderspielwoche nach Mitternacht im internen DFB-Kreis in einer Loge der Münchner Arena munter ausklang, sprach der Baumeister hörbar stolz von seiner „Gewinner-Mannschaft“ und sein bisher geschaffenes Werk.
Der „größte Schritt“, sagte Nagelsmann, sei „die Gier, welche die Mannschaft aktuell verkörpert, Spiele gewinnen zu wollen. Ich habe jetzt in der Nations League noch kein Spiel gehabt, wo ich das Gefühl hatte, es ist egal, ob wir gewinnen oder nicht gewinnen.“
Es ist noch verfrüht. Aber es scheint unter der Anleitung des besonders gierigen Siegertypen Nagelsmann gerade wieder ein verschworener Haufen zusammenzuwachsen, der an die Klasse und Mentalität der letzten deutschen Titelgewinner anknüpfen könnte.
DFB-Präsident Bernd Neuendorf sowie Wolfgang Niersbach, Verbandschef beim letzten deutschen Titelgewinn 2014 bei der WM in Brasilien, hoben in ihrer Laudatio auf die Fußball-Heoren Manuel Neuer, Thomas Müller und Ilkay Gündogan sowie den abwesenden Toni Kroos hervor, wie herausragend sie die Nationalmannschaft verkörpert hätten. Gesellig ging es zu unter den alten Weggefährten. Auch Weltmeistercoach Joachim Löw feierte mit.
Es war das Vorbild Müller, das den Blick auf die Zukunft, „die Next Generation“, richtete. Den ersten Umkehrschub, den Nagelsmann schon vor und während der Heim-EM im Sommer zündete, erlebte der Bayern-Profi noch aktiv mit. Jetzt befand der Nationalspieler a. D. Müller: „Ich finde, dass wir einen positiven Trend haben. Und vor allem, dass man Spieler sieht, die sich ins Rampenlicht spielen wollen. Nicht des Rampenlichts wegen, sondern weil sie es geil finden, für Deutschland zu spielen.“
Fußballerisch seien sie „sehr dominant geworden“, sagte Nagelsmann. Und das Gebilde ist inzwischen so stabil, dass selbst eine wahre Ausfallwelle von Torwart Marc-André ter Stegen über Jamal Musiala und Kai Havertz bis hin zu Torjäger Niclas Füllkrug zu keinem Systemausfall führt. Der Kader wird breiter, der Konkurrenzdruck nimmt zu. „Gut, dass wir aus der zweiten Reihe neues Personal dazugewonnen haben“, sagte der Bundestrainer.
Deniz Undav war beim 2:1 in Bosnien-Herzegowina als Doppeltorschütze der Mann des Spiels. Gegen die Niederländer fiel diese Rolle seinem Stuttgarter Vereinskollegen Jamie Leweling (23) zu. „Dass er so gut spielt, hätte ich nicht gedacht“, staunte Nagelsmann. „Den knallt er brutal unters Dach“, schwärmte Kapitän Joshua Kimmich von Lewelings Siegtor.
Im Tor verdiente sich Oliver Baumann beim Debüt mit 34 Jahren „die Note eins“ des Bundestrainers. Den Hoffenheimer sieht Nagelsmann im Kampf um die Nummer eins während ter Stegens Verletzungspause nun „einen Tick“ vor Konkurrent Alexander Nübel.
Dazu erhöhten im Mittelfeld die Youngster Aleksandar Pavlovic (20) und Angelo Stiller (23) mit einem blitzsauberen Startelfdebüt den Druck auf das etablierte Ü30-Duo Pascal Groß und Robert Andrich. „Es ist einfach, die Jungs hören zu und machen, was man ihnen sagt und bringen ihre Qualitäten ein“, sagte Vize-Kapitän Antonio Rüdiger zufrieden.
Nagelsmann erinnerte aber auch in seiner Jahresbilanz daran, wie wichtig der Tiefpunkt im November 2023 mit dem 2:3 gegen die Türkei und dem 0:2-Desaster in Österreich war. „Wir mussten erstmal Negativerlebnisse haben, um den Nährboden zu haben, am Kader etwas zu verändern“, erläuterte Nagelsmann. Ein radikaler Umbruch folgte. „Wir haben eine gute Gruppe gefunden.“ In der war und ist für langjährige Nationalspieler wie Leon Goretzka, Mats Hummels, Niklas Süle oder Julian Brandt seit dem November-Blues kein Platz mehr.
Es ist ein neues Selbstverständnis entstanden. „Man merkt, dass jeder Bock hat“, sagte Kimmich. Solche Abende wie gegen Holland seien wichtig, der Respekt der Gegner vor dem DFB-Team wachse wieder: „Wir haben ein funktionierendes System, funktionierende Abläufe. Jeder weiß, was seine Aufgabe ist. Das ist sicherlich das Verdienst des Trainers.“
Und der will mehr. Im November soll das Länderspieljahr in Freiburg gegen Bosnien-Herzegowina und in Budapest gegen Ungarn mit dem Gruppensieg abgerundet werden. 2025 geht es dann zunächst um den Einzug ins Final-Four-Turnier der Nations League und den Titelgewinn und danach um die Qualifikation für die WM in den USA, Kanada und Mexiko.
„Wir haben immer noch viele Schritte zu gehen“, sagte Nagelsmann. Er nannte zwei Vorbilder: „Argentinien hat vor dem WM-Titel 2022 viel gewonnen, Spanien alles vor der EM im Sommer.“ Nagelsmanns Leitmotiv bleibt: „Es geht ums Gewinnen!“
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