Als Alexander Nübel von Bundestrainer Julian Nagelsmann und Torwartcoach Andreas Kronenberg die frohe Kunde von seinem Länderspiel-Debüt erhielt, informierte der 28-Jährige sofort seine stolzen Eltern. Freuen darf sich aber auch seine 92 Jahre alte Oma, die nicht ganz unbeteiligt daran ist, dass der Torwart des VfB Stuttgart am Freitag (20.45 Uhr/RTL) im Nations-League-Spiel der Nationalmannschaft gegen Bosnien-Herzegowina den vorläufigen Höhepunkt einer durchaus steinigen Fußball-Karriere erleben darf.
Von „purer Vorfreude“, berichtete Nübel im RTL-Interview. „Ein Traum“ erfülle sich für ihn. Wahlweise spricht der einst 17-malige U21-Nationaltorwart auch von „einer Belohnung“ und „einer Krönung“. Und was hat die Oma damit zu tun? Sie hat einst mit dem kleinen Alex „viel im Garten Fußball gespielt“, wie der heute 1,93 Meter große Enkel in einem DFB-Video verrät: „Das war schon mega geil.“
Aus Omas Garten hat es Nübel nun also zu seinem größten Spiel als Torwart im kleinen, nur 13.000 Zuschauer fassenden Stadion Belino Polje in Zenica geschafft. Dort darf er sich nach der schweren Verletzung von Marc-André ter Stegen als Proband fürs DFB-Tor beweisen und vorlegen im Platzhalter-Duell mit Oliver Baumann. Der sechs Jahre ältere Hoffenheimer bekommt sein Länderspiel-Debüt am Montag in München gegen die Niederlande.
Eigentlich war der Fall klar. Deutschlands Rekordtorhüter Manuel Neuer sollte in „seiner“ Allianz Arena vorm Anpfiff als Nationalspieler offiziell verabschiedet werden (gemeinsam mit den Weltmeister-Kollegen Thomas Müller und Toni Kroos sowie EM-Kapitän Ilkay Gündogan). Und Neuers jahrelanger Kronprinz ter Stegen wäre dann als Nummer eins eingelaufen.
Bekanntlich kam es anders. Ter Stegen riss sich jüngst im Einsatz für den FC Barcelona die Patellasehne im Knie. Operation, monatelange Reha, kein Spiel mehr in dieser Saison. Nagelsmann reagierte mit einem Bekenntnis zu ter Stegen: „Marc hat von uns alle Zeit, die er braucht, um wieder gesund zu werden. Er ist unsere Nummer eins - und das bleibt er auch!“ Es reiche immer noch für die WM 2026, wenn ter Stegen ein Jahr davor zurückkomme.
Der Bundestrainer hat bewusst nur einen Kampf um die interimistische Nummer eins im DFB-Tor ausgerufen. Der heißt Baumann kontra Nübel. Beide dürfen, wie der DFB mitteilte, bei ihren Debüts mit der Nummer 1 auf dem Torwarttrikot auflaufen. Das Thema ist sensibel.
Trotz Nagelsmanns Bekenntnis zu ter Stegen geht es für den Bundestrainer in den acht Länderspielen bis zum geplanten Comeback der Nummer eins darum, zu ermitteln, welcher der beiden Platzhalter fähig ist, womöglich auch ein tauglicher WM-Torwart zu sein.
Nübel äußerte Mitgefühl mit Pechvogel ter Stegen. „Er hat sehr lange auf die Position gewartet hinter Manu. Eigentlich wäre seine Zeit jetzt gekommen im Hinblick auf die WM“, bemerkte der Tor-Debütant. „Eigentlich“ ist dabei das entscheidende Wort. Nübel mangelte es noch nie an Selbstbewusstsein. „Klar, wenn ich die Chance bekomme, will ich mich zeigen und mich am besten präsentieren“, sagte Nübel. Er sieht sich als „Herausforderer“.
Plötzlich könnte es sein, dass Nübel der doppelte Nachfolger von Neuer wird. Seit 2020 steht der frühere Schalker Nübel beim FC Bayern München unter Vertrag. Bis 2029 ist der zuletzt verlängert worden. Weil an Kapitän Neuer kein Vorbeikommen war, ließ sich Nübel erst zwei Jahre an die AS Monaco ausleihen. Und seit einem Jahr ist er nun Leihspieler beim VfB Stuttgart, mit dem er als Vizemeister bis in die Champions League emporschoss.
„Grundstein ist immer die Leistung im Verein, da zählt es“, weiß Nübel: „Das i-Tüpfelchen sind die Spiele mit der Nationalmannschaft.“ Bei der Heim-EM im Sommer gehörte er als vierter Torwart zum vorläufigen EM-Aufgebot. Am Ende entschied sich Nagelsmann doch noch für einen Feldspieler mehr und strich Nübel aus dem endgültigen Turnierkader.
„Eine Karriere ist immer mit Steinen im Weg“, weiß Nübel. Falls Neuer aber im kommenden Sommer mit 39 Jahren seine Karriere beenden sollte, könnte ihn der FC Bayern ein Jahr vor dem vereinbarten Leihende aus Stuttgart zurückholen. Nübel könnte dann als Nummer eins des wichtigsten deutschen Vereins in die WM-Saison gehen. Aber das ist Zukunftsmusik.
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