Als erste Südkoreanerin überhaupt wird die Schriftstellerin Han Kang mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Die 53-Jährige erhält den wichtigsten literarischen Preis der Erde „für ihre intensive poetische Prosa, die sich historischen Traumata stellt und die Zerbrechlichkeit des menschlichen Lebens offenlegt“, wie die Schwedische Akademie in Stockholm bekanntgab. Han Kang ist die 18. Frau, die den Literaturnobelpreis erhält – und die erste Frau unter den bislang verkündeten Nobelpreisträgern dieses Jahres.
Han habe scheinbar einen ganz gewöhnlichen Tag gehabt und gerade mit ihrem Sohn zu Abend gegessen, als er sie telefonisch zu Hause in Seoul erreicht habe, berichtete der Ständige Sekretär der Akademie, Mats Malm, bei der Preisbekanntgabe in der Altstadt von Stockholm. „Sie war auf das hier nicht wirklich vorbereitet“, sagte er. Man freue sich sehr, sie im Dezember bei der Preisverleihung in Stockholm begrüßen zu dürfen.
In einem Telefon-Interview, das die Nobelstiftung auf der Online-Plattform X veröffentlichte, erklärte Han, sie sei sehr überrascht und fühle sich geehrt. Den Preis werde sie nach dem Telefonat in Ruhe in Gesellschaft mit Teetrinken feiern.
Han Kang wurde 1970 im südkoreanischen Gwangju geboren, zog als junges Mädchen aber mit ihrer Familie in die Hauptstadt Seoul. Bereits ihr Vater war ein renommierter Autor. Ihr Debüt feierte die Südkoreanerin 1993 mit in einer Zeitschrift erschienenen Gedichten, zwei Jahre später veröffentlichte sie eine erste Sammlung an Kurzgeschichten. Ihren großen internationalen Durchbruch erlebte sie dann 2007 mit dem Werk „Die Vegetarierin“, in der die weibliche Hauptfigur gewalttätige Konsequenzen aus ihrem direkten Umfeld erlebt, weil sie sich weigert, Fleisch zu essen.
„Han Kangs körperliche Empathie für die verletzlichen, oft weiblichen Leben ist spürbar und wird durch ihre metaphorisch aufgeladene Prosa verstärkt“, sagte der Vorsitzende des Nobelkomitees für Literatur, Anders Olsson, bei der Bekanntgabe. Sie verfüge über ein einzigartiges Bewusstsein für die Zusammenhänge zwischen Körper und Seele sowie den Lebenden und den Toten. „Mit ihrem poetischen und experimentellen Stil ist sie zu einer Innovatorin der zeitgenössischen Prosa geworden“, sagte Olsson.
Seit 2017 ist der Literaturnobelpreis immer abwechselnd Frauen und Männern zugesprochen worden - bei dieser abwechselnden Abfolge bleibt es somit auch diesmal. Im vergangenen Jahr hatte ihn der Norweger Jon Fosse erhalten, davor mit der Französin Annie Ernaux ebenfalls ein großer Name der Weltliteratur. Sowohl Fosse als auch Ernaux hatten zuvor jeweils zum engeren Favoritenkreis gezählt - Han Kang dagegen hatte vor der Preisbekanntgabe kaum jemand auf dem Zettel gehabt.
Die Auswahl der Preisträgerin sei eine Überraschung, aber eine angenehme, sagte der deutsche Literaturkritiker Denis Scheck. „Die Akademie hat eine glückliche Hand bewiesen“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur kurz nach der Preisbekanntgabe. Han Kang sei eine absolut nobelpreiswürdige Autorin, die ganz wunderbare Geschichten geschrieben habe.
Der deutsche Verlag der Literaturnobelpreisträgerin zeigt sich „überglücklich“ über die Auszeichnung der Autorin. Sie sei „eine der kraftvollsten und eigenständigsten Stimmen der Weltliteratur“, sagte die Leiterin der Literaturabteilung der Aufbau Verlage in Berlin, Friederike Schilbach, der Deutschen Presse-Agentur. „Es gelingt ihr, die gewaltigsten Themen durch ihre poetische Sprache erzählbar zu machen. Das Zärtliche verbindet sie mit dem Revolutionären und schafft so Literatur, die nur sie so schreiben kann.“
Han ist dabei nicht nur die erste Literaturnobelpreisträgerin aus Südkorea überhaupt, sondern auch die erste Frau, die in diesem Jahr einen Nobelpreis zugesprochen bekommt: In den wissenschaftlichen Preiskategorien Medizin, Physik und Chemie gingen die Preise in diesem Jahr ausschließlich an Männer.
Seit der ersten Preisvergabe im Jahr 1901 sind insgesamt nunmehr 121 Literaturnobelpreisträgerinnen und -preisträger benannt worden. Darunter waren weltbekannte Literaten wie Ernest Hemingway, Selma Lagerlöf und Jean-Paul Sartre, aber auch Persönlichkeiten wie der frühere britische Premier Winston Churchill und der US-Musiker Bob Dylan, die zunächst nicht unbedingt mit der Weltliteratur in Verbindung gebracht werden. Die letzten deutschen Preisträger waren Herta Müller vor 15 und Günter Grass vor 25 Jahren, der letzte deutschsprachige der Österreicher Peter Handke vor fünf Jahren.
Nach der Bekanntgabe in der Literatur wechselt das Nobelpreis-Geschehen nun vorübergehend von Stockholm nach Oslo: Während die ersten vier Preisbekanntgaben traditionell in der schwedischen Hauptstadt stattfinden, folgt die Kür des Friedensnobelpreisträgers am Freitag wie stets in Norwegen. Zum Abschluss wird am nächsten Montag noch verkündet, wer den von der schwedischen Zentralbank gestifteten Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften erhält, dann wieder in Stockholm.
Feierlich überreicht werden die prestigeträchtigen Nobelmedaillen allesamt am 10. Dezember, dem Todestag von Preisstifter und Dynamit-Erfinder Alfred Nobel (1833-1896). Die Auszeichnungen sind in diesem Jahr erneut mit einem Preisgeld in Höhe von elf Millionen schwedischen Kronen (knapp 970.000 Euro) pro Kategorie dotiert.
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