Seit über 20 Jahren leidet der Kläger an Multipler Sklerose. Er sitzt im Rollstuhl und muss rund um die Uhr betreut werden. Essen kann er nur mit Hilfe seines Betreuers. Er ist ab der Schulter gelähmt.
Der 51-Jährige aus Rheinland-Pfalz will im Kreise seiner Familie mit Hilfe seiner Schwester selbstbestimmt sterben. So hat er es am Mittwoch im Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen erzählt. Seine Stimme ist leise, sein Anwalt wiederholt seine Worte ins Mikrofon.
Um den Wunsch umsetzen zu können, hat er neben weiteren Klägern beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) mit Sitz in Bonn die Erlaubnis zum Kauf des Betäubungsmittels Natrium-Pentobarbital beantragt. Die Kläger wollen sich mit dem Mittel selbst töten. Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar 2020 in einem Urteil das Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben unterstrichen. Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, das bei Rechtsstreitigkeiten für das Bundesinstitut zuständig ist, hat die Klage abgewiesen. Bereits in der Vorinstanz waren die Klagen von Schwerkranken aus Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Baden-Württemberg nicht erfolgreich.
Laut Betäubungsmittelgesetz ist nach Überzeugung des OVG keine Erlaubnis möglich. Der Gesetzgeber habe hier nicht die Nutzung eines Betäubungsmittels zur Selbsttötung gemeint, sondern zur Heilung von Krankheiten oder Beschwerden.
Die beiden anderen Kläger waren nicht nach Münster gereist. Eine 68-Jährige aus dem Landkreis Schwäbisch-Hall leidet neben Krebs an multiplen Erkrankungen und liegt nach Angaben ihres Anwalts im Sterben. Der dritte Kläger ist ein 77-Jähriger aus dem Landkreis Lüneburg, der neben Krebs auch an einer Herzerkrankung leidet.
Gudrun Dahme, Vorsitzende Richterin in dem Verfahren, sprach zum Auftakt der mündlichen Verhandlung von schwierigen Fällen. „Allerdings nicht unbedingt rechtlich. Wir haben es hier mit schwierigen ethischen Fragen zu tun“, sagte Dahme. „Wir müssen aber juristisch entscheiden und sind kein Ethikrat“, sagte die Richterin auch in Richtung des Klägers.
Dabei gehe es neben dem Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben um die Abwägung der Suizidprävention und dem Vorbeugen des Missbrauchs von Betäubungsmitteln. Der staatliche Schutz des Lebens stehe im Gegensatz zum Grundrecht auf Sterben.
Das OVG hält es laut seiner Urteilsbegründung mittlerweile in Deutschland für möglich, mit Hilfe eines Arztes oder Sterbehilfeorganisationen aus dem Leben zu scheiden. Das gelte auch für die Kläger. Auch gebe es eine Alternative zu Natrium-Pentobarbital. Auch mit einer Kombination aus verschiedenen, verschreibungspflichtigen Mitteln sei ein selbstbestimmter Tod möglich. „Das vom Bundesverfassungsgericht festgestellte Grundrecht laufe somit nicht ins Leere.“
Das OVG äußerte sein Bedauern, dass der Bundestag bislang noch kein Gesetz vorgelegt habe, um das Problem grundsätzlich zu regeln. „Aber weil der Bundestag nicht tätig geworden ist, könne daraus kein Erlaubnisanspruch abgeleitet werden“, sagte Dahme in der Urteilsbegründung.
Einig waren sich Gericht und Klägeranwalt, dass das Bundesinstitut das Problem ohnehin nicht lösen könne. Ärzte müssten in Zukunft das Medikament verschreiben.
„Es ist gut, dass der Gesetzgeber nicht gezwungen werden kann, das klare Verbot der Abgabe von Tötungsmitteln aufzuweichen. Das Betäubungsmittelrecht konzentriert sich damit weiterhin auf die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte ist somit nicht verpflichtet, die Ausgabe von Suizidpräparaten zu genehmigen“, sagte Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz nach dem Urteil.
© dpa-infocom, dpa:220202-99-940470/6