Mit einem eigenen Sofortprogramm für den Verkehrssektor will die Organisation Fridays for Future (FFF) den Druck auf die Bundesregierung für ein Umsteuern in der Verkehrspolitik erhöhen. Darin fordern die Aktivistinnen und Aktivisten unter anderem ein Tempolimit von 120 Kilometern pro Stunde auf Autobahnen oder den Ausbau des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) sowie den der Schiene.
Außerdem sieht ihr Programm autofreie Innenstädte und den Ausbau der Radverkehrsinfrastruktur vor. Darüber hinaus bekräftigte die Organisation ihre Forderungen nach einem Rücktritt des Bundesverkehrsministers Volker Wissing (FDP).
Fridays for Future wirft der Bundesregierung mit Blick auf die eigenen Klimaziele „Rechtsbruch“ vor. Hintergrund ist, dass sowohl der Verkehrs- als auch der Gebäudesektor die CO2-Reduktionsziele der Bundesregierung im vergangenen Jahr erneut verfehlt haben. Mit Sofortprogrammen müssen solche Sektoren darlegen, mit welchen Maßnahmen die Ziele mittelfristig eingehalten werden sollen. Die Frist dafür ist an diesem Montag abgelaufen.
„Nach geltender Rechtslage besteht eine ganz klare gesetzliche Verpflichtung zur Vorlage eines Sofortprogramms“, sagte FFF-Anwältin Caroline Douhaire. Das Versäumnis der Sektoren benennt sie als „Rechtsbruch“. Wissing halte sich das zweite Jahr in Folge nicht an geltendes Recht, sagte auch Viviane Raddatz, Klimachefin bei der Umweltschutzorganisation WWF Deutschland.
Die Bundesregierung wies die Vorwürfe zurück. Eine Regierungssprecherin verwies auf das Klimaschutzprogramm, das die Bundesregierung im Juni vorgelegt habe. Das umfasse auch die notwendigen Sofortprogramme für den Verkehrs- und Gebäudebereich. „Diese wurden auf Grundlage des derzeit geltenden Klimaschutzgesetzes im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen Sofortprogramme durch die zuständigen Bundesministerien vorgelegt bzw. eingebracht“, hieß es vom Wirtschaftsministerium.
Das Klimaschutzprogramm liegt demnach seit Mitte Juni dem Expertenrat für Klimafragen vor, der dieses begutachten und auf seine Wirksamkeit überprüfen muss. Dazu hat er rund zwei Monate Zeit.
Wissing kritisierte zudem die Vorschläge für einen nachhaltigeren Verkehr von Fridays for Future. Sie ignorierten „die Lebenswirklichkeit der meisten Menschen in Deutschland. Das Programm würde Wirtschaft und Wohlstand schweren Schaden zufügen“, teilte er mit.
Schon 2021 hatte der Verkehrssektor die Klimaziele der Bundesregierung nicht eingehalten. Das Ministerium erarbeitete anschließend ein Sofortprogramm. Dieses wurde vom zuständigen Expertenrat als so unzureichend bewertet, dass das Gremium auf eine umfassendere Prüfung ganz verzichtete - auch, weil das Ministerium schon damals auf das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung verwiesen hatte.
Der Verkehr stelle im Klimaschutz die größte Baustelle dar, sagte Pit Terjung von Fridays for Future. Dort habe sich in den vergangenen Jahrzehnten am wenigsten getan. 2022 lag der Verkehrssektor mit rund 150 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent elf Millionen Tonnen über der für das Jahr zulässigen Emissionsmenge von 139 Millionen Tonnen.
Die Bundesregierung will das Klimaschutzgesetz mit seinen Zielen für jeden Sektor reformieren. Die Einhaltung der Klimaziele soll nicht mehr rückwirkend nach verschiedenen Sektoren wie Verkehr, Industrie oder Landwirtschaft kontrolliert werden, sondern in die Zukunft gerichtet, mehrjährig und sektorübergreifend.
Die Bundesregierung als Ganzes soll künftig entscheiden, in welchem Sektor und mit welchen Maßnahmen die zulässige CO2-Gesamtmenge bis 2030 erreicht werden soll - allerdings erst, wenn es zwei Jahre in Folge zu einer Zielverfehlung kommt.
Fridays for Future kritisierte das Vorhaben erneut als „Rückschritt“. „Wir brauchen und fordern ein Klimaschutzgesetz, dass die Weichenstellung dafür möglich macht, dass Deutschland bis 2035 klimaneutral wird“, sagte Terjung. Mit der Abschaffung der Sektorziele „droht die überfällige Mobilitätswende noch den letzten Schwung zu verlieren“, teilte Greenpeace-Verkehrsexpertin Marissa Reiser mit.
Auch auf Berliner Landesebene war der Verkehrssektor in den vergangenen Wochen zum Streitthema geworden. Die Ankündigung von Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU), Planungen für Radwege und die Sinnhaftigkeit bestimmter Projekte vorerst auf den Prüfstand zu stellen, hatte zuletzt für viel Kritik und Debatten rund um die Verkehrspolitik in Berlin gesorgt.
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