Sebastian Vettel hat gerade viel Zeit zum Nachdenken. Wegen einer Corona-Infektion verpasst der 34-Jährige auch das zweite Formel-1-Saisonrennen in Saudi-Arabien am Sonntag (19.00 Uhr/Sky).
Eigentlich wollte der Aston-Martin-Pilot auch bei seinem Auftritt in Dschidda wieder Zeichen setzen für Themen, die ihm wichtig sind: Klimaschutz, Fridays for Future, Menschenrechte und gerade jetzt auch der Krieg in der Ukraine. „Ich bin nicht gerade der beliebteste Fahrer in den Augen der Formel-1-Organisation. Mir kann aber niemand sagen, was ich zu sagen oder nicht zu sagen habe“, sagt Vettel.
Das freut auch Klima-Aktivistin Luisa Neubauer. Im gemeinsamen Video-Gespräch kurz vor dem zehnten globalen Klimastreik von Fridays for Future lobt die 25-Jährige das Engagement des Rennfahrers. Es sei inspirierend, dass es Leute wie Vettel gebe, „die sagen: Lass uns mal dazu stehen, was wir für wichtig halten.“
Sie haben jüngst in einem gemeinsamen Podcast über den Sinn eines Tempolimits gesprochen. Wie erleben Sie jetzt die Debatte um eine Spritpreisbremse?
Man muss niemandem erklären, wie erschütternd die Lage ist und wie sprachlos es macht, was gerade passiert. Ich bin Teil einer Generation, der man gesagt hat, es gibt keinen Krieg mehr in Europa. Das ist eine erschütternde Ausgangslage. Es ist auf eine andere Art auch beklemmend, wie teilweise damit umgegangen wird. Dass eine Maßnahme wie ein Tempolimit, das aus inhaltlicher und ökologischer Sicht und jetzt auch aus der Kriegslogik Sinn macht, jetzt nicht umgesetzt wird, finde ich befremdlich und realitätsfremd.
Über die Preise an der Zapfsäule zu sprechen, geht extrem am Thema vorbei. Ich hätte im Jahr 2022 nicht mehr damit gerechnet, dass man ein anderes Land überfällt mit Soldaten und Panzern. Das ist absolut schockierend. Dass bei uns der Anstieg der Benzin- und Dieselpreise das Tagesthema bestimmt, zielt an dem eigentlichen Problem vorbei. Für mich geht es darum, was man tun kann, um dem Krieg ein Ende zu bereiten, das Leid der Menschen zu beenden. Solidarität heißt auch Mitmachen, nicht nur auf die Straße zu gehen. Wenn das heißt, temporär höhere Preise an der Zapfsäule zu bezahlen, dann ist das so. Man kann das nicht aufwiegen mit der Lage, in der sich Millionen Menschen im Krieg in der Ukraine befinden.
Sie haben beide zum Stopp des Imports von russischem Öl, Gas und Kohle aufgerufen. Die Bundesregierung schließt jetzt neue Partnerschaften auch in Katar. Ist das in Ihrem Sinne?
In dem Augenblick, in dem man vom russischen Gas wegmöchte und sich nach Katar wendet, stehen wir vor der Systemfrage. In beiden Fällen handelt man mit Gegnern der Demokratie und befeuert weiter die ökologische Katastrophe. Die Antwort muss doch eine gerechte Energiewende sein, so schnell wie möglich. Dass jetzt komische Umwege gegangen werden, um Putin zu entmächtigen, gehört vielleicht in diesem Augenblick dazu. Aber vor allem müssen wir mit aller Kraft von all diesen Systemen wegkommen, dass wir überhaupt keine Autokraten und Diktatoren mehr unterstützen müssen, indem wir ihre fossilen Energien abkaufen. Wir müssen unabhängig werden. Neue Energien sind Freiheitsenergien, sie sind das Friedlichste und Demokratischste, das wir haben.
Man sagt ja, aus Fehlern sollte man lernen. Die Flucht in die nächste Abhängigkeit ist das Falsche. Wir als Gesellschaft müssen alles daransetzen, unabhängig zu werden, um diese Freiheit, an der wir so hängen, auch weiter genießen zu können. Vielleicht steckt da ein bisschen der Sportler in mir und der Ehrgeiz. Wir machen etwas, das vorher noch keiner geschafft hat und werden unabhängig bei der Energieversorgung in einem Zeitraum, den keiner für möglich gehalten hätte. Weil wir es jetzt einfach anpacken.
Auch die Formel 1 hat umstrittene Partner. Am Wochenende wird in Saudi-Arabien gefahren. Das Land führt Krieg im Jemen, hat eine schlechte Menschenrechtsbilanz. Was bewirkt der Sport, wenn er trotzdem dort auftritt?
Schwierige Frage. Wie unabhängig kann man sein, wenn man auf der Lohnliste steht. Man kann sagen: Boykottieren, gar nicht erst hingehen. Anderseits kann man mit dem Gedanken hingehen: Wir vertreten unsere westlichen Werte, zeigen unsere Freiheit und stehen dafür ein. Die Frage ist, wie mutig man sein kann, wenn man bezahlter Gast ist. Es ist ja nicht so, dass die Formel 1 sich das aussucht auf der Landkarte. Es ist eher so, dass die Länder auf die Formel 1 zukommen und es Teil des Geschäftsmodells ist, dass Austragungsorte sehr viel Geld dafür in die Hand nehmen. Traut man sich, etwas dagegen zu unternehmen, wenn man dort ist? Andererseits gibt es gewisse Werte, für die wir einstehen müssen, weil sie größer sind als finanzielle Interessen.
Was muss die Formel 1 konkret tun?
Man muss den Sport allgemein in die Pflicht nehmen. Es ist ein Spagat zwischen finanziellen Interessen, um den Sport so auszutragen, wie wir ihn kennen, und der kritischen Betrachtung. Es geht nicht nur um Saudi-Arabien und Bahrain, die Olympischen Spiele waren in China. Die Frage ist, wie viele Länder noch übrig bleiben, wenn man sich allein den Formel-1-Kalender ansieht. Aber eigentlich sollte es eine einfache Frage sein. Es geht ja um Vorbilder, gerade auch für junge Leute. Einerseits ist es Unterhaltung, anderseits hat man auch Verantwortung und sollte schauen, dass man mit den richtigen Werten und Symbolen vorangeht.
Wenn man als Formel 1 irgendwo hingeht, hat man eine sehr große Verantwortung. Das gilt aber auch für die Fußball-WM. Wenn man dort hingeht, wo Menschenrechte verletzt werden, muss man sich den Bedingungen stellen und den Mut haben, darüber zu sprechen. Und aus der Machtposition heraus Veränderungen einfordern. Was mich so betrübt, ist die Inkonsequenz großer Institutionen wie der FIFA oder der Formel 1 gegenüber Menschenrechtsverletzungen. Sie beschützen damit nicht nur Regime, die Menschenrechte mit Füßen treten. Sie ziehen den Sport auch in eine Ecke, wo er nicht sein muss, und damit auch die Fans und Sportbegeisterten.
Was können Sie, Herr Vettel, denn mit ihrem Einsatz für Klimaschutz, für Menschenrechte bewirken?
Es geht dabei nicht um meine Botschaft. Wir müssen das alle kapieren, sonst sieht es gar nicht gut aus. Es geht dabei nicht nur um die Formel 1, sondern um unsere Zukunft. Ich sehe meinen Beruf immer noch primär darin, dass ich versuche, Rennen zu gewinnen. Mir ist bewusst, dass mein Job kein guter ist für die Umweltbilanz. Ich fahre nicht, um eine Botschaft nach vorne zu bringen. Wir stehen alle in dieser Verantwortung. Als Sportler sucht man ja immer nach Lösungen. Ich versuche, auch wenn es kleine Sachen sind, dagegen anzugehen. Wenn das Leute inspiriert, dann ist das toll. Wenn aufgrund der Tatsache, dass ich an der Rennstrecke Müll einsammle, kleine Kinder schreiben, sie sammeln jetzt im Wald Müll auf, dann ist mein Ziel an dieser Stelle erreicht. Dass es kein Ende gibt, das ist klar. Die größte Herausforderung liegt vor uns. Jeder einzelne kann den Unterschied machen.
Müssten Sie nicht das Interesse haben, die Formel 1 als Symbol für Rohstoffverschwendung aus dem Rennen zu nehmen?
Seit drei Jahren versuchen wir als Fridays for Future die großen Hebel in der Welt und in Deutschland in der Politik herumzureißen. Um die Zukunft der Formel 1 kann sich die Formel 1 selbst kümmern. Und Menschen wie Sebastian. Als Fridays for Future haben wir eine Wunderkerzen-Funktion, Dinge zu beleuchten, so dass sie sich irgendwann verselbständigen und Leute sich mit ihrer Expertise und Lebenserfahrung daran machen, Teil des großen Ganzen zu werden.
Dann wäre es aus Ihrer Sicht wichtig, wenn Sebastian Vettel noch lange weiter fährt und in der Formel 1 seine Sicht der Dinge anspricht und auf seinen Sport entsprechend einwirkt?
Sebastian hat ja die zwei Optionen aufgezeigt. Entweder ich gehe raus und boykottiere die ganze Sache oder ich bleibe da und tue, was ich tun kann. Es geht nicht darum, dass wir zu Öko-Heiligen werden, die alles in ihrem Leben richtig machen. Wir sollten uns ganz ehrlich fragen, was unsere Antwort darauf ist, dass wir zu einer Zeit in einer Welt leben, um die es ganz schlecht steht. Und es keine neutrale Position gibt, egal ob man im Sport ist, studiert oder in der Bank arbeitet. Es ist wichtig, dass wir das offenlegen, dass es Menschen gibt, die das anerkennen. Es gibt wenige Dinge, die weniger inspirierend sind.
Ganz zentral bei dem Thema ist ja die Aufmerksamkeit. Ich hatte nicht diesen Urknallmoment. Aus einem kleinen Anreiz ist der nächste gewachsen. Wie beim Schneeball-Effekt ist das Thema immer größer geworden. Und es wird nicht verschwinden. Das wird den Rest meines Lebens und das Leben meiner Kinder bestimmen. Wenn sich meine jüngeren Kollegen nur auf die Fahrerei konzentrieren, werfe ich ihnen das nicht vor. Aber die größere Frage ist: Was ist das alles wert, wenn es um die Welt, in der wir leben, nicht gut bestellt ist und wenn wir uns darum kümmern müssen.
Was ist Ihre Antwort?
Ich habe nicht den Anreiz, Leute zu bekehren. Ich sage nicht: Ich fahre mit dem Auto nach Imola oder Barcelona, macht das doch auch. Ich versuche, die Privatfliegerei für mich zu 100 Prozent zu streichen, weil es das Schlimmste ist, was man machen kann. Das sind Schritte, die ich unternehmen kann. Ich kann sie mir in gewisser Hinsicht auch leisten. Ich will nicht sagen, ich bin jetzt der Vorbildmensch. Mich tangieren die Spritpreise weniger. Aber in der Situation sind nur ganz wenige Leute. Für einige macht es gepaart mit den Heizkosten so einen großen Unterschied, dass sie sich fragen, wie komm ich am Monatsende noch rum? Ich muss da auch gar nicht weit schauen, da gibt es auch in meinem Familien- und Freundeskreis Leute, die davon sehr betroffen sind.
Die Formel 1 hat ihre Solidarität mit der Ukraine bekundet, das Rennen in Sotschi gestrichen und den Vertrag über weitere Grand Prix in St. Petersburg gekündigt. War das die richtige Reaktion?
Ja, es gab die richtige Reaktion, sie war am Anfang nicht klar genug, aber dann wurde das Thema so groß, dass man sich nicht mehr rausreden konnten. Man sollte daraus lernen, dass man in Zukunft genau auf die Risiken schaut, die sich aus Verträgen mit autokratisch geführten Ländern ergeben. Ich meine, die Wertevorstellung sollte dabei entscheidend sein, nicht die finanzielle Attraktivität.
Hören Ihnen die Leute in der Formel 1 zu, wenn Sie zu diesen Thema sprechen?
Mittlerweile ist es so, dass manche ein bisschen Panik ergreift, wenn diese Themen aufkommen. Da gibt es Leute, die unheimlich gerne Einfluss nehmen wollen auf das, was ich dazu sage. Sie wollen das Risiko einer Konfrontation minimieren. Das war am Tag des Kriegsausbruchs so und es ist bei Nachhaltigkeitsthemen so. Ich bin nicht gerade der beliebteste Fahrer in den Augen der Formel-1-Organisation. Mir kann aber niemand sagen, was ich zu sagen oder nicht zu sagen habe, auch wenn das nicht gerne gesehen wird, was ich dann sage.
Das kenne ich. Alle regen sich auf, dann muss man lange erklären, warum man sich so geäußert hat. Später kommen viele und sagen, ja, finden wir auch gut. Wir können von einem sozialen Fortschritt sprechen, wenn man sich begleiten lässt von Werten und sich nicht immer an dem orientiert, wie man es immer gemacht hat. Wenn uns die Lebensgrundlagen um die Ohren fliegen, Kriege ausbrechen, Menschenrechte massiv verletzt werden, dann ist das Handbuch der Vergangenheit vielleicht nicht der klügste Ratgeber. Wir machen ja die Erfahrung, dass Forderungen, die im Augenblick für radikal gehalten werden, später als selbstverständlich angesehen werden. Es macht mich sehr froh, dass wir diesen Fortschritt überall sehen, dass es Menschen gibt wie Sebastian oder Organisationen wie Fridays for Future und Friday for Friends gibt, die sagen: Lass uns mal dazu stehen, was wir für wichtig halten.
Die Klimaschutz-Aktivistin Luisa Neubauer (25) ist einer der führenden Köpfe der Bewegung Fridays for Future in Deutschland. Die Studentin aus Hamburg moderiert einen Podcast und ist Mit-Autorin mehrerer Bücher. Rennfahrer Sebastian Vettel (34) ist viermaliger Weltmeister der Formel 1. Der Hesse fährt für das Team Aston Martin und lebt mit seiner Familie in der Schweiz.
© dpa-infocom, dpa:220325-99-669180/4